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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Doppelselbstmord - Morphium, die beste Methode. Am 10. März 1953, fünf Tage nach Stalins Tod, als die Sowjetunion sich aus den Wirren seiner Gewaltherrschaft erheben und den Weg zum wahren Sozialismus weisen sollte. Aber dazu kam es nicht; statt dessen blieben die gleichen alten Schlächter am Ruder, und Big Jim und Edna starben an vor Enttäuschung gebrochenen Herzen. Trotzdem war ihr Begräbnis recht interessant. Die Sozialisten kamen nicht, weil Big Jim und Edna Kommunisten gewesen waren; die Katholiken nicht, weil Selbstmord eine Sünde ist; die Kommunisten blieben weg, weil Big Jim und Edna gegen Onkel Joe gewesen waren. Am Schluss bestand die Trauergemeinde nur aus dem FBI, Jimmy und mir.«
    Kirwill holte tief Luft.
    »Das habe ich Ihnen alles nur erzählt, damit Sie wissen, dass ich Sie und Ihre Leute kenne. Irgend jemand in dieser Stadt hat meinen kleinen Bruder ermordet. Sie arbeiten jetzt mit mir zusammen; aber weil Sie’s auf den Kerl abgesehen haben, der Ihren Kollegen umgelegt hat; weil Sie einen entsprechenden Befehl kriegen oder weil Sie der Kerl sind, der hinter der ganzen Sache steckt, werden Sie irgendwann versuchen, mir einen Strick um den Hals zu werfen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich Sie vorher noch umlege. Darauf können Sie sich verlassen!«
     
    Arkadi fuhr ziellos durch die Strassen. Er war nicht betrunken. Nach dem Zusammensein mit Kirwill hatte er das Gefühl, vor einem offenen Schmelzofen gesessen zu haben, der den Wodka verbrannt und eine zweck- und ziellose Energie zurückgelassen harte. An jeder zweiten Strassenecke wurden bei Scheinwerferbeleuchtung rote Spruchbänder aufgezogen. Strassenreinigungswagen saugten die Rinnsteine ab. Moskau bewegte sich wie Schlafwandler auf den Ersten Mai zu.
    Er hatte das Gefühl, dass irgend etwas Wichtiges passierte - aber er wusste nicht, wann oder wo. Im Hauptquartier der Miliz, in das er schließlich fuhr, herrschte gähnende Leere. Die meisten Beamten der Nachtschicht waren wie immer vor dem Ersten Mai unterwegs, um wenigstens die Innenstadt von Betrunkenen zu säubern; andererseits war es am Maifeiertag patriotisch, sich zu betrinken. Es kam nur auf die Wahl des richtigen Zeitpunkts an. Kirwills Radikale, Gespenster aus einer obskuren Zeitrechnung toter Leidenschaften, die wahrscheinlich nicht einmal Amerikaner kannten oder kennen wollten - was konnten sie mit Morden in Moskau zu tun gehabt haben?
    In der Fernmeldezentrale tippten zwei Sergeanten mit offenem Kragen bruchstückweise über Funk eingehende Meldungen: unsichtbarer Abfall aus der Außenwelt. Obwohl auf dem wandgroßen Stadtplan keine Lichter brannten, starrte Arkadi ihn lange an.
    Der Chefinspektor ging in den Bereitschaftsraum hinüber. Dort saß ein einzelner Beamter, der Vernehmungsprotokolle abtippte. Arkadi setzte sich an einen Schreibtisch und wählte die Nummer der Abhörstelle im Zentralen Telegrafenamt. Nach dem zwanzigsten Klingeln meldete sich jemand, den er nach Gesprächen aus Telefonzellen in der Umgebung von Irina Asanowas Wohnung fragte.
    »Ich schicke Ihnen morgen früh eine Liste, Chefinspektor«, Antwortete die schlaftrunkene Stimme.
    »Ich habe keine Lust, Ihnen jetzt hundert Telefonnummern vorzulesen.«
    »Sind von den Telefonzellen aus Gespräche mit dem Hotel Rossija geführt worden?« fragte Arkadi weiter.
    »Nein.«
    »Augenblick!« Er angelte ein Telefonbuch aus dem Schreibtisch und blätterte darin, bis er den Buchstaben R wie Rossija gefunden hatte. »Ist die Nummer vierfünfsiebensiebennullzwo angerufen worden?«
    Am anderen Ende war ein verächtliches Schnauben zu hören. Dann folgte langes Schweigen, bis die Stimme sich erneut meldete. »Um zwanzig Uhr zehn ist die Nummer vierfünfsiebensiebennullzwo von der öffentlichen Sprechstelle neunnullzwoachtzwofünf aus angerufen worden.«
    »Dauer des Gesprächs?«
    »Knapp eine Minute.«
    Arkadi legte auf, wählte die Nummer des Hotels Rossija und fragte nach Osborne. Der Portier erklärte ihm, Mr. Osborne sei nicht in seinem Zimmer. Das konnte nur bedeuten, dass Osborne sich mit Irina Asanowa traf.
    Der Chefinspektor lief zu seinem Dienstwagen und fuhr auf die Petrowka-Strasse hinaus, die als Einbahnstrasse nach Süden führte. Um diese Zeit herrschte kaum noch Verkehr. Falls Irina Asanowa den Amerikaner angerufen hatte, musste sie die Initiative ergriffen und ihm sogar ein Ultimatum gestellt haben. Eine Minute war mehr Zeit, als man brauchte, um einen Treffpunkt zu vereinbaren; sie musste den

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