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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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nüchtern unberechenbar genug, und Arkadi hatte stets gehört, Amerikaner seien nicht sonderlich trinkfest. Aber Schwan wollte herkommen, und er durfte ihn nicht verpassen.
    Der Chefinspektor stand auf, trat an die Theke und kam mit einer zweiten Flasche Wodka und einem eigenen Glas zurück. Er knickte ein Streichholz ab und hielt es Kirwill mit einem anderen so hin, dass nur die Zündholzköpfe zu sehen waren. »Wer das kürzere zieht, schenkt uns beiden aus seiner Flasche ein.«
    Kirwill runzelte die Stirn. Er griff nach den Streichhölzern und erwischte prompt das kürzere.
    »Scheiße.«
    Arkadi sah zu, wie Kirwill die beiden Gläser voll schenkte. »Sie sollten Ihr Haar an den Seiten kürzer tragen. Und legen Sie Ihre Füße nicht auf einen freien Stuhl. Das tun nur Amerikaner.«
    »Okay, ich sehe schon, dass wir gut miteinander auskommen werden.« Kirwill kippte seinen Wodka wie Arkadi. Auch beim nächsten Versuch zog er das abgebrochene Streichholz. »Kein schlechter Trick, Renko. Wollen Sie mir nicht wenigstens erzählen, was Sie heute getrieben haben, wenn Sie sich schon von mir freihalten lassen?«
    Arkadi hatte nicht die Absicht, ihm von Osborne zu erzählen, und da er nicht wollte, dass Kirwill sich mit Irina Asanowa befasste, sprach er über die Rekonstruktion des Gesichts der im Gorki-Park ermordeten jungen Frau.
    »Wunderbar!« meinte Kirwill sarkastisch, als Arkadi fertig war.
    »Ich komme mir vor wie ein Zeitreisender, der die Polizeiarbeit im alten Rom beobachtet. Was kommt als nächstes - die Vogelschau oder ein Knochenorakel?« Er schüttelte den Kopf. »Hören Sie, Jimmy hat Ikonen restauriert. In Ihren Akten ist von einem Schrein mit Ikonen die Rede.«
    »Die gestohlen oder gekauft, aber nicht restauriert werden sollten.«
    Kirwill rieb sich das Kinn. Dann griff er in seine Jackentasche und zog eine Postkarte heraus, die er Arkadi hinhielt. Auf der Rückseite stand eine kurze Beschreibung eines Schreins in der Erzengel-Kathedrale im Kreml. Auf der Vorderseite war ein reichvergoldeter Schrein abgebildet, dessen Bildtafeln einen Kampf zwischen weißen und schwarzen Engeln darstellten.
    »Wie alt ist der Ihrer Meinung nach, Chefinspektor?«
    »Vier- bis fünfhundert Jahre«, schätzte Arkadi.
    »Versuchen Sie’s mal mit 1920. Damals ist die Kathedrale nämlich renoviert worden. Ich rede allerdings nur von dem Schrein. Die Bildtafeln sind alt. Der ganze Satz würde in New York mindestens eine Viertelmillion Dollar bringen. Solche Ikonen kann man natürlich nicht offiziell ausführen - aber manchmal wird vielleicht ein mittelmäßiger neuer Schrein exportiert, dessen Bildtafeln als minderwertig getarnt worden sind.
    Ich hab mir die Hacken abgelaufen, um bei sämtlichen westlichen Botschaften nachzufragen, wer im letzten halben Jahr Ikonen ausgeführt hat. Aber ich bin überall abgeblitzt. Dann hab ich in der amerikanischen Botschaft mit dem Presseattache gesprochen, der der hiesige CIA-Boss und ein Kamel dazu ist, um mir von ihm unter vier Augen versichern zu lassen, geschmuggelte Ikonen seien eine sichere Geldanlage. Ein wahres Wunder, dass diese Leute sich mit ihrem Diplomatengepäck keinen Bruch heben! Aber für private Händler ist da nichts zu holen.
    Dann ist mir eingefallen, dass man Gold braucht, um Ikonen restaurieren zu können, und da man hierzulande Gold weder kaufen noch stehlen kann, war meine ganze Mühe vergebens, und ich bin hier reingestolpert, um mich mit einer Flasche zu trösten, bis Sie kommen.«
    »Kostja Borodin hätte in Sibirien Gold stehlen können«, sagte Arkadi. »Aber wäre ein neuer Schrein mit alten Ikonen nicht zu auffällig?«
    »Er wird künstlich gealtert. Man reibt die Vergoldung ab, bis die rote Grundierung sichtbar wird.
    Dann wird mit Umbra nachbehandelt. Ihre Leute sollen in Geschäften für Künstlerbedarf nachfragen, wer armenische Sienaerde, Stukkaturgips, Gelatinegranulat und Schlämmkreide gekauft hat. Dazu Knochenleim, Gaze, sehr feines Schleifpapier, Chamoisleder … «
    »Halt, nicht so schnell!« Der Chefinspektor schrieb mit. »Außerdem Watte, Alkohol, Stichel und flache Polierstähle.« Kirwill schenkte sich einen Wodka ein. »Mich wundert nur, dass Sie keine Zobelhaare an Jimmys Kleidungsstücken gefunden haben.«
    »Zobel? Warum?«
    »Die besten Vergolderpinsel werden aus Marder- oder Zobelhaar hergestellt.« Der Amerikaner runzelte die Stirn. »He, wer ist das, verdammt noch mal?«
    Schwan hatte einen Zigeuner mitgebracht: einen nussbraunen

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