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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Amerikaner gegen seinen Willen dazu gebracht haben, sich mit ihr zu treffen. Aber wo?
    Nicht in Osbornes Hotelzimmer und nicht an einem Ort, an dem er als Ausländer aufgefallen wäre.
    Auch nicht in einem irgendwo geparkten Wagen, auf den ein Milizionär hätte aufmerksam werden können - und ohne Auto konnte Osborne sie nicht nach Hause bringen. Ab 0.30 Uhr fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Auf Arkadis Uhr war es zehn Minuten nach Mitternacht.
    Arkadi bog auf den Platz der Revolution ein, hielt an einer weniger hell beleuchteten Stelle zwischen zwei Strassenlampen und stellte den Motor ab. Hier hatte er die dem Hotel Rossija nächste U-Bahn-Station vor sich, zudem eine Linie, die nahe bei Irina Asanowas Wohnung vorbeiführte. Ein Streifenwagen raste mit Blaulicht, aber ohne Sirene vorbei. Der Chefinspektor bedauerte erstmals, dass sein Wagen nicht mit Funk ausgerüstet war. Er spürte, dass sein Herz schneller klopfte, und trommelte mit den Fingern einen Marsch auf das Lenkrad.
    Der Platz der Revolution wird im Norden vom Swerdlow-Platz und im Süden vom Roten Platz begrenzt. Arkadi beobachtete die Fußgänger, die vom Roten Platz herüberkamen und die langgestreckte Front des Kaufhauses GUM passierten. Aber auch aus anderen Richtungen kamen Schritte, die ihn bald hierhin, bald dorthin blicken ließen. Dann bog Irina Asanowa um die Ecke des Kaufhauses. Sie hatte beide Hände in ihren Jackentaschen vergraben und betrat den U-Bahnhof genau gegenüber von Arkadis Wagen. Er sah zwei Männer, die links und rechts des Eingangs gewartet harten und jetzt die Verfolgung der jungen Frau aufnahmen.
    An der Sperre hatte Irina Asanowa ihre fünf Kopeken in der Hand, während Arkadi sich erst Kleingeld aus einem Wechselautomaten holen musste. Bis er die Rolltreppe erreichte, war die junge Frau schon halb unten - und mit ihr die beiden Männer, die ihr noch nicht aufgefallen waren. Sie trugen Mäntel und Hüte, in denen sie sich nicht von Dutzenden von anderen Gestalten auf den Stufen der Rolltreppe unterschieden. Irina drängte sich an vor ihr stehenden Paaren vorbei; ihre Verfolger taten das gleiche, und Arkadi folgte ihrem Beispiel. Er war noch weit hinter ihnen, als Irina am unteren Ende der Rolltreppe in dem Gang zu den Bahnsteigen verschwand.
    Über Marmorböden, unter Kronleuchtern hindurch, an Wänden mit bunten Revolutionsmosaiken vorbei überholte Arkadi zwei kleine mongolische Soldaten, die gemeinsam einen schweren Koffer schleppten. Ein Musiker in ausgetretenen, staubigen Lackschuhen schlurfte an einem Mosaik vorbei, auf dem Lenin zu Fabrikarbeitern sprach. Müde Paare schlichen wortlos nebeneinander her. Arkadi sah Irina nicht und konnte auch das Echo ihrer Schritte nicht hören, weil er selbst rannte. Sie war verschwunden.
    Der Gang führte auf einen Bahnsteig hinaus. Dort fuhr eben ein Zug an: Menschen hinter Stahl und Glas, Rentner und Schwerbeschädigte, die auf den für sie reservierten Sitzen Platz nahmen, eng umschlungene Liebespaare, ein Betrunkener - sie alle verschwammen, als der Zug beschleunigte und schließlich im Tunnel verschwand. Arkadi bezweifelte, dass Irina in diesen Zug eingestiegen war, aber das sagte ihm lediglich sein Instinkt. Die große Digitaluhr über dem Gleis sprang von 0:16 auf 0:17.
    Zu den Hauptverkehrszeiten fuhren die Züge in Minutenabständen, aber auch nachts lagen zwischen den Abfahrten nie mehr als drei Minuten.
    Arkadi lief durch den Gang zurück, ohne Blick für die glänzenden revolutionären Mosaiken, zu den Zügen rennenden Fahrgästen ausweichend. Er war davon überzeugt, nicht an Irina vorbeigelaufen zu sein. Am Boden kniete eine Frau und schrubbte den Marmorboden. Gold für die Wände, Marmor für den Boden - und immer wieder Lenin in bunten Steinen. Auf einer Seite waren die Mosaike durch drei Türen unterbrochen. Die Kronleuchter flackerten, damit den letzten Zug für diese Nacht anzeigend.
    Arkadi riss eine mit einem roten Kreuz gekennzeichnete Tür auf und entdeckte dahinter Feuerlöscher, einen großen Erste-Hilfe-Kasten und zwei Tragbahren. Die erste Tür mit der Aufschrift Zutritt verboten war verschlossen. Die zweite Tür mit der gleichen Aufschrift ließ sich indessen mühelos öffnen. Arkadi trat ein und schloss sie hinter sich.
    Der Raum erinnerte an eine Lokomotivkanzel. Das Licht einer roten Deckenleuchte spiegelte sich in zahlreichen Messgeräten und langen Schalterreihen. Arkadi bückte sich und hob vom Boden etwas auf, das er auf den ersten

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