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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Alten mit einem verschrumpelten Affengesicht, aus dem wache schwarze Augen leuchteten. Der Alte trug einen formlosen braunen Schlapphut auf seinen eisgrauen Locken und hatte sich ein rotes Tuch um den Hals geknotet. In jeder sowjetischen Arbeitsmarktstatistik tauchten lediglich die Zigeuner als arbeitslos auf. Sie entzogen sich allen Bemühungen, sie sesshaft zu machen oder in andere Länder abzuschieben, verkauften an jedem Sonntag Amulette auf den Bauernmärkten und schossen im Frühjahr wie Pilze aus dem Boden der städtischen Anlagen, um Passanten anzubetteln.
    »Für Künstlerbedarf gibt’s bei uns keine eigenen Geschäfte«, erklärte Arkadi Kirwill. »Man kauft ihn in Trödelläden, an Strassenecken oder bei irgend jemand in der Wohnung.«
    »Er sagt, dass er von einem Sibirier gehört hat, der Goldstaub zu verkaufen gehabt hat.« Schwan nickte zu dem Zigeuner hinüber.
    »Und Zobelfelle!« ergänzte der Alte heiser. »Fünfhundert Rubel für ein einziges Fell.«
    »An der richtigen Strassenecke kriegt man alles«, sagte Arkadi zu dem Lieutenant, ohne den Zigeuner dabei aus den Augen zu lassen.
    »Alles«, bestätigte der Zigeuner.
    »Sogar Menschen«, fügte Arkadi hinzu.
    »Wie den Richter, der langsam an Krebs verrecken soll, weil er meinen Sohn ins Arbeitslager geschickt hat! Hat der Richter an die Kinder gedacht, die mein Sohn unversorgt zurückgelassen hat?«
    »Wie viele Kinder?« fragte der Chefinspektor.
    »Babys.« Der Alte war sichtlich gerührt. Er spuckte auf den Boden und fuhr sich mit dem Jackenärmel über den Mund. »Zehn Babys.«
    »Vier Babys«, entschied Arkadi.
    »Acht! Das ist mein letztes Wort, sonst … «
    »Sechs.« Arkadi schob ihm sechs Rubel über den Tisch. »Du kriegst das Zehnfache, wenn du rausfindest, wo die Sibirier gewohnt haben.« Er wandte sich an Schwan. »Ein stämmiger Kerl, eine junge Frau und ein magerer Rothaariger. Alle drei sind Anfang Februar verschwunden. Schreiben Sie diese Liste ab und geben Sie eine dem Zigeuner. Die drei haben ihr Material irgendwo kaufen müssen. Wahrscheinlich haben sie eher am Stadtrand gewohnt, wo’s weniger neugierige Nachbarn gibt.«
    »Sie werden im Leben immer Glück haben.« Der Zigeuner steckte das Geld ein. »Wie Ihr Vater. Der General ist sehr großzügig gewesen. Wir sind bis nach Deutschland hinter ihm hergezogen. Er hat uns immer was übriggelassen - nicht wie andere Generale.«
    Als Schwan und der Zigeuner gingen, war Odessa mit 1:0 in Führung.
    »Zigeuner sind gute Spürhunde«, sagte Arkadi.
    »Schon gut.« Kirwill hob abwehrend die Hand. »Meine Leute wollen auch immer erst Geld sehen.« Er hielt Arkadi die Zündhölzer hin. »Sie sind dran!«
    Arkadi verlor und schenkte ein.
    »Ich schlage vor, dass wir auf Ihren toten Kollegen trinken.« Der Amerikaner erhob sein Glas.
    »Gut, trinken wir auf Pascha.«
    Sie tranken, losten wieder und tranken weiter. Arkadi spürte, dass ihm der Wodka allmählich zu Kopf stieg. Im Gegensatz zu seinen anfänglichen Befürchtungen zeigte Kirwill noch keinerlei Wirkung; er erinnerte Arkadi eher an einen Langstreckenläufer, der das ihm gemäße Tempo gefunden hat. Der Amerikaner schien sich in dieser Arbeiterkneipe wirklich wohl zu fühlen.
    »Stimmt das mit General Renko?« erkundigte Kirwill sich. »Der Schlächter der Ukraine ist Ihr Vater gewesen? Höchst bemerkenswert! Wie hab ich das übersehen können?«
    Arkadi starrte das breite gerötete Gesicht des anderen prüfend an. Aber Kirwill ließ nur Neugier und sogar freundliche Interesse erkennen.
    »Leicht für Sie«, antwortete Arkadi, »verdammt schwer für mich.«
    »Kann ich mir vorstellen! Warum sind Sie nicht auch Berufsoffizier geworden? Als >Sohn des Schlächters der Ukraine< wären Sie inzwischen selbst General. Was sind Sie - ein Versager?«
    »Und dazu auch noch unfähig, meinen Sie?«
    Kirwill nickte grinsend.
    Arkadi dachte darüber nach. Diese Art Humor war ihm fremd, und er wollte richtig darauf reagieren.
    »Meine >Unfähigkeit< ist eine Frage der Ausbildung; dass ich ein Versager bin, wie Sie’s ausdrücken, habe ich nur mir selbst zu verdanken. Der General war Panzerkommandeur in der Ukraine. Der heutige Generalstab besteht zur Hälfte aus Männern, die irgendwann Panzerkommandeure in der Ukraine waren. Chruschtschow war damals Politkommissar in der Ukraine. Aus der damaligen Gruppe sind zahlreiche Parteisekretäre und Marschälle hervorgegangen. Ich bin also auf die richtigen Schulen gegangen und habe die richtigen

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