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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Lehrer und Förderer gehabt. Wäre der General zum Marschall ernannt worden, wäre mein Berufsweg vorgezeichnet gewesen. Dann wäre ich heute vielleicht Kommandeur einer Raketenbasis in der Moldauischen Republik. Aber er ist nicht zum Marschall befördert worden. Er ist >Stalins Schwertarm< gewesen. Nach Stalins Tod hat ihm niemand mehr getraut. Eine Beförderung zum Marschall? Ausgeschlossen!«
    »Er ist liquidiert worden?«
    »Nein, nur pensioniert. Und ich bin zu dem kleinen Beamten herabgesunken, den Sie jetzt vor sich sehen. Sie ziehen.«
    »Eigentlich komisch, dass die Leute einen immer fragen, warum man Polizist geworden ist, was?«
    Kirwill zog das kürzere Streichholz und schenkte nach. »Drei Berufe kriegen diese Frage ständig zu hören: Pfarrer, Nutten und Polizisten. Die wichtigsten Berufe der Welt, aber die Leute fragen trotzdem immer wieder. Außer bei Iren.«
    »Warum bei denen nicht?«
    »Als Ire in Amerika hat man nur zwei Möglichkeiten: Man wird Geistlicher oder Polizeibeamter.« Er machte eine Pause. »Sie halten mich für einen ziemlich ungebildeten Kerl, nicht wahr?«
    Aus Kirwills Gesichtsausdruck sprach jetzt unverkennbare Verachtung. Seine eben noch gezeigte Liebenswürdigkeit - die wirklich echt gewesen war - hatte sich spurlos verflüchtigt. Der Amerikaner beugte sich über den Tisch, dessen Platte er mit beiden Händen umklammerte. »Ich bin nicht so ungebildet, wie Sie glauben! Ich kenne euch Russen, ich bin mit Russen aufgewachsen. Jeder gottverdammte russische Stalin, der aus diesem Paradies der Werktätigen vertrieben worden ist, hat bei uns zu Hause gewohnt.«
    »Ich habe gehört, Ihre Eltern seien Radikale gewesen«, sagte Arkadi vorsichtig.
    »Radikale? Gottverdammte Kommunisten! Irischkatholische Rote. Big Jim und Edna Kirwill - von denen haben Sie allerdings schon gehört!«
    Arkadi sah sich in der Kneipe um. Alle anderen Gäste waren angetrunken und hatten nur Augen und Ohren für den Fernseher. Odessa schoss das 2:0 und löste dadurch vereinzelte Missfallenskundgebungen aus. Arkadi konzentrierte sich wieder auf den Lieutenant, der sein Handgelenk mit schmerzhaft kräftigem Griff umklammerte.
    »Big Jim und Edna, die Schutzpatrone aller russischen Emigranten, Anarchisten, Menschewiken und so weiter - man brauchte nur ein verrückter Russe zu sein, um in New York eine Heimat zu haben: unser Haus! Das reinste Auffanglager für Exilrussen. Deshalb weiß ich aus Erfahrung, dass Anarchisten die besten Automechaniker sind. Sie haben einen Blick fürs Technische - der kommt vom Bombenbasteln.«
    »Die amerikanische Linke scheint eine sehr interessante Geschichte zu haben«, begann Arkadi. »Ich habe neulich … «
    »Erzählen Sie mir nichts über die amerikanische Linke!« unterbrach Kirwill ihn. »Lauter intellektuelle Arschlöcher! Großmäuler, die nie dabei gewesen sind, wenn’s Prügel gegeben hat, und die Cops, die geprügelt haben, sind in die Kirche gezogen, um ihre Schlagstöcke segnen zu lassen. Wer Edna Kirwills Kopf getroffen hat - sie ist nur knapp einssechzig gewesen -, dessen Kinder sind in der Sankt-Patricks-Kathedrale gefirmt worden. Und warum das alles? Weil der Red Star zwanzig Jahre lang die einzige katholische Zeitschrift gewesen ist, die den Mut hatte, sich auf der Titelseite als kommunistisch zu bezeichnen.
    Das war Big Jims geradlinige Art. Er stammte aus einer alten IRA-Familie, war ein Riesenkerl mit Bärenkräften und hatte leider zuviel Grips, sonst wäre er vielleicht als Bierkutscher glücklich geworden. Ednas Familie hatte eine Brauerei, mit der ihr Alter Millionen gescheffelt hat. Deshalb sind Big Jim und Edna nie exkommuniziert worden - weil ihr Alter der Kirche Erholungsheime gestiftet hat: drei am Hudson und eines in Irland.
    Ja, die amerikanische Linke hat zusammengehalten, bis nach dem Krieg der Rosenberg-Prozess Schlagzeilen gemacht hat. Dann sind die Salonkommunisten untergetaucht und haben Big Jim und Edna mit den gleichen kümmerlichen Russen wie vor dem Krieg sitzen gelassen - was uns bei McCarthy und dem FBI verdammt beliebt gemacht hat. Ich war Soldat in Korea, als Jimmy auf die Welt kam. Die ganze Familie hat über diesen Nachzügler gelacht. Hoover hatte Big Jim und Edna praktisch unter Hausarrest gestellt, so dass sie aus Langeweile wieder zu bumsen angefangen haben.«
    Moskau schoss endlich ein Tor, das entlang der Theke lallend bejubelt wurde.
    »Dann hab ich Sonderurlaub gekriegt, um zu ihrer Beerdigung heim fliegen zu können. Ein

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