Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Steinen, die seit Tausenden von Jahren keine Wärme erreicht hat.
Die Schuppen der Schlange glitzerten feucht. Das Tier war jetzt ganz aus ihr herausgeglitten und bewegte sich nun schneller. Rasch schlängelte es sich durch ihr Schamhaar und den Bauch hinauf. Kristina spürte die Schlange nicht, nur die abgrundtiefe Kälte, die ihr Rückgrat hinaufstieg.
Das Tier kam immer näher. Im Takt mit den Vorwärtsbewegungen wippte der Kopf leicht zur Seite. Nun hatte die Schlange ihre rechte Brust erreicht. Die schwarzen Augen schienen alles und nichts zu sehen. Sie öffnete ihr breites Maul, entblößte die langen Giftzähne und schlug zu. Die Zähne der Schlange gruben sich in ihre dunkelrote Brustwarze, und der Schmerz …
Kristina schlug die Augen auf. Panisch versuchte sie, sich in Zeit und Raum zurechtzufinden. Das Sofa im Wohnzimmer, die Nachmittagssonne vor dem Fenster.
Ihre Brust hob sich schnell und heftig. Langsam setzte sie sich auf. Der linke Arm war eingeschlafen, der andere tastete unbewusst nach der Brust unter der dünnen weißen Strickjacke. Ihr Kopf war vollkommen leer. Nur erfüllt von dem eiskalten Schrecken, als die Schlangenzähne in ihrem Fleisch versanken.
Langsam gewann sie die Kontrolle über sich selbst zurück. Ein Traum, ein Traum, ein Traum, sagte sie sich. Aber was für ein Traum! Woher kam so etwas? Die Schlange neulich auf dem Weg, das konnte sie verstehen, aber der Rest …
Um Gottes willen, wie spät war es? Mühevoll hob sie den kribbelnden linken Arm. Zehn vor vier. Sie würde es gerade noch zum Flugplatz schaffen.
6
Emrik Jansson stand, die Sonne im Rücken, beide Hände am Lenker, und blickte zur breiten Straße. Die große Landstraße, dachte er. Und er stand ganz am Ende, dort, wo der Straßenbelag vor einigen kräftigen Betonklötzen mit Warnreflektoren aufhörte. Ja, da stand er, aber ausgezählt war er noch nicht. Hier, am Ende der Straße, durfte man sich noch einmal hinsetzen und verschnaufen, bevor man in der Versenkung verschwand.
Emrik ging früh ins Bett und stand früh auf, oft noch vor Tagesanbruch. Aber in der vergangenen Nacht hatte er fast gar nicht geschlafen. Seine Gedanken hatten ihn wach gehalten. Es war töricht, sich wegen einer Angelegenheit, die ihn eigentlich nichts anging, solche Sorgen zu machen, aber das war wohl immer so, wenn einen die eigenen Angelegenheiten nicht mehr ausfüllten.
Er machte sich Sorgen, und das nicht ohne Grund, aber was erwartete er sich eigentlich davon, dass er hier stand? Das Auto von Kristina Traneus sauste vorbei, ein Winken hinter der Scheibe, aber mehr nicht? Mehr konnte er nicht erwarten. Vielleicht würde er auch einen Blick auf Arvid Traneus erhaschen?
Verrückter alter Kerl, ich sollte nach Hause gehen und mich hinlegen, schoss es ihm durch den Kopf. Er tastete mit vergilbten Fingern nach dem Tabak, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Vom Schlafmangel fühlte er sich schwach, und er wusste nicht, ob ihm eine Zigarette guttun oder ihn hier am Straßenrand in die Knie zwingen würde. Aber wenn er erst einmal auf seinem Hintern saß, kam er alleine nicht mehr hoch, das wusste er aus Erfahrung, und dass ihn jemand aus dem Straßengraben ziehen musste, war das Letzte, was er wollte.
Er ließ es besser sein. Erneut packte er mit beiden Händen den Lenker und ging ein paar Meter vorwärts. Nun mussten sie jeden Augenblick kommen. Jeden Augenblick.
Kristina Traneus’ großer Geländewagen, ein silbergrauer Lexus, bog in Klinte von der Küstenstraße ab und fuhr weiter in Richtung Hemse. Ob das Auto wirklich ihr gehörte? Da sie es seit zwei Jahren fuhr, betrachtete sie es für gewöhnlich als ihr Eigentum, aber nun saß sie nicht mehr hinterm Steuer.
Vor einer guten halben Stunde hatte sie Arvid vom Flugplatz in Visby abgeholt. Direkt vor dem Ausgang für die ankommenden Passagiere hatte Arvid sie in den Arm geschlossen. Er hatte sie fest an seinen großen und kräftigen Körper gedrückt, hatte sich zu ihr hinuntergebeugt und ihr heiser schnurrend ins Ohr geflüstert: »Nun gibt es nur noch uns beide, Kristina.«
Ein breites Lächeln zerrte an ihrer Haut.
Sie klammerte sich an ihn, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihr war schwindlig.
»Nur uns beide.« Was bedeutete das? Hatte er etwas bemerkt?
»Hast du nicht mehr Gepäck?«, fragte sie, als sie wieder allein zu stehen wagte und die Aktentasche und das Bordcase entdeckte.
»Die schicken den Rest.«
Auf dem Parkplatz streckte er die
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