Gotland: Kriminalroman (German Edition)
weil er einen anderen Menschen so schwer verletzt hat, dass dieser bis an sein Lebensende Invalide ist. Das wissen Sie doch, oder?«
»Schon, aber …«
»Schon, aber?« Zum ersten Mal klang Gunilla Borg ein wenig unbeherrscht.
Eine Weile gab Hallman keinen Ton von sich.
»Ich glaube trotzdem nicht, dass er es getan hat.«
»Das ist etwas anderes.« Gunilla Borg klang nun verständnisvoller.
Sara musste den Kopf senken, um ihr Lächeln zu verbergen.
»Mit anderen Worten, Sie wissen nicht, ob Leo bei Traneus in Levide war oder nicht.«
»Nein«, sagte Hallman.
»Hätte er es tun können ? War er lange genug allein, um nach Levide und wieder zurück zu kommen?«
»Das nehme ich an. Ja, das war er«, seufzte Hallman.
»Zu einem bestimmten Zeitpunkt?«
»Er war jeden Tag unterwegs. Ich habe keine Ahnung, was er da getrieben hat, außer was zu trinken kaufen und so.«
»Wie war es gleich nach dem Wochenende, an dem er zu Ihnen gekommen ist?«
»Genauso. Ich kann mich an die Tage nicht mehr erinnern, aber er hätte es mehrmals locker nach Levide geschafft, wenn er gewollt hätte.«
»Hatte er ein Auto oder ein anderes Fahrzeug?«
Beppo Hallman musste lachen.
»Woher hätte er ein Auto haben sollen, er kam doch gerade aus dem Knast. Es war ja nicht so, dass irgendjemand ihn mit offenen Armen empfangen hätte.«
»Er hätte sich eines ausleihen oder stehlen können, was weiß ich. Also hatte er keinen Zugang zu einem Auto, Moped oder vielleicht einem Fahrrad?«
»Soweit ich weiß, nicht.«
Als sie aus Hemse wegkamen, dämmerte er bereits. Die dichter gewordene Wolkendecke ließ die Dunkelheit noch früher anbrechen, und der Sprühregen war in einen kräftigen Platzregen übergegangen, der auf der Straße durch Hemse riesige Pfützen wachsen ließ. Der Parkplatz vor dem Konsum war voll. Im Laufschritt schoben die Leute die Einkaufswagen zu ihren Autos und hievten pralle Einkaufstüten voller Chips, Limo und Freitagabendsteaks in den Kofferraum. Abendzeitungen, die zerknüllt zwischen Milchtüten und Bananen steckten und in fetten Lettern das Neueste von der zerstückelten Leiche berichteten, wurden vom Regen aufgeweicht und würden zu Hause nur noch schwer durchzublättern sein. Sie verbreiteten den Geruch von nassem Papier und Druckerschwärze in den Autos auf dem Weg ins wohlverdiente Wochenende.
Sara, Fredrik und Gustav hatten kein freies Wochenende vor sich, das war ihnen klar. Klint hatte beschlossen, auf Nummer sicher zu gehen und Hallman wegen des Verdachts auf Hehlerei vorläufig festzunehmen. Es war zwar zweifelhaft, ob es zur Anklage kommen würde, aber das war auch nicht so wichtig. Hallman sollte eingesperrt werden, damit er Leo Ringvall nicht warnen konnte.
Gustav fuhr, Sara saß neben ihm, und Fredrik telefonierte auf der Rückbank mit Ove. Per-Arne Hallman hatten sie im Streifenwagen nach Visby geschickt. Sie waren erleichtert, dass sie ihn nicht selbst hinbringen mussten. Als Hallman begriff, dass er nach Visby sollte, hatte er ein nervtötendes Klagegeheul angestimmt, weil er fand, man habe ihn hinters Licht geführt. Er war der Meinung, man habe sich darauf geeinigt, dass er gehen dürfe, nachdem er von Leo Ringvall erzählt hatte. Aber das hatte ihm niemand versprochen. Möglicherweise hatte man etwas angedeutet, was er leider falsch interpretiert hatte.
Fredrik klappte das Handy zu.
»Sieht nicht gut aus für Ringvall. Die DNA-Analyse ist noch nicht fertig, aber die Haare stimmen überein. Außerdem hat der Junge ziemlich kleine Füße.«
»Lange wird er anscheinend nicht auf freiem Fuß bleiben«, sagte Sara.
Als sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine Pfütze fuhren, spritzte eine Schmutzwasserfontäne am Wagen hoch.
»Hoffen wir’s, damit diese ganze Geschichte bald ein Ende hat«, seufzte Gustav.
DRITTER TEIL
Dich hat er schon lange vergessen.
Hängt Gott auf!
EBBA GRÖN
Freitag, 3. November,
Karolinska-Krankenhaus, Solna
»Ich nehme morgen um elf die Fähre und fange am Montag wieder an zu arbeiten«, sagte Sara.
»Ach, wirklich?« Ninni blickte auf, sprach aber nicht weiter. Sara konnte ihr Zögern nachvollziehen. Das Krankenzimmer ließ jedes Wort so bedeutungsschwer erscheinen.
»Danke, dass du dir Zeit für Fredrik genommen hast. Das war gut.« Ninni sah ihren Mann an.
Sara nickte stumm. Ihre Gedanken kreisten um die Besuche bei ihm, um die vielen Stunden und Tage, die sie in diesem Raum verbracht hatte. Sie hörte sich selbst reden. Manches von dem,
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