Gotland: Kriminalroman (German Edition)
ihm bahnte. Tödlich und wirklich.
Er strampelte mit beiden Füßen, doch durch den Schlafsack hatte das nur einen schwachen Effekt. Er schlug mit der linken Hand aus, tastete sich an der Wand entlang und stieß dabei an einen Gegenstand, der scheppernd umfiel. Er fingerte das Feuerzeug aus seiner Tasche und zündete es an. Dann richtete er sich auf und hielt das Feuerzeug am ausgestreckten Arm in den Raum. Die Flamme flackerte im Wind, der durch das Gemäuer zog, leuchtete aber den Raum ein wenig aus. Langsam ließ er die Flamme von links nach rechts wandern, entdeckte aber keine Schlange. Bedächtig bewegte er den ausgestreckten Arm, keine Schlange. Natürlich war da keine Schlange. Sein Kopf hielt ihn zum Narren. Als die furchterregende Gestalt, die sich über ihn gebeugt hatte, ein zu leichter Gegner wurde, hatte sofort eine andere Phantasie eingesetzt, die er sich nicht so einfach vom Leib halten konnte.
Warum quälte er sich selbst? Diese Schlangen und die merkwürdigen blutüberströmten Gestalten waren doch nur in seinem Kopf. Er nahm einen scharfen Geruch wahr, drehte sich um und sah, dass der Spirituskocher umgefallen und die Flüssigkeit ausgelaufen war. Ein große dunkle Pfütze breitete sich auf dem Boden aus. Er fluchte leise, schälte sich aus dem Schlafsack, spürte sofort die Kälte, die ihm unter die Haut kroch, und stellte den Kocher wieder auf. Dabei achtete er sorgfältig darauf, das Feuerzeug auf Abstand zu halten.
Er räumte den Rucksack voller Lebensmittel und Kleidung, die Zwiebackpackung und die Wodkaflasche beiseite. Die Zwiebacktüte war nass geworden. Er riss die Verpackung auf, schüttete den Inhalt direkt in den Rucksack und fluchte erneut. Der Rucksack war zum Glück noch trocken, und er zog ihn ein Stück vom Spirituskocher weg. Seine rechte Hand fühlte sich vom Spiritus kalt und trocken an.
Sein Daumen am Feuerzeug wurde heiß. Er stieg in den Schlafsack und ließ die Flamme ausgehen. Da er nicht wusste, was er mit dem Feuerzeug machen sollte, steckte er es sich zwischen die Zähne, während er den Schlafsack zumachte. Dann rutschte er zur Wand, setzte sich wieder auf und legte das Feuerzeug neben sich.
Kaum war er zur Ruhe gekommen, kehrten die Trugbilder zurück. Die Dunkelheit beugte sich über ihn, verdichtete sich, starrte ihn an und griff nach ihm. Er glotzte zurück und versuchte sich gegen den Wahnsinn in seinem Innern zu wappnen, doch sosehr er auch kämpfte, er spürte doch, wie sein Herz immer schneller und heftiger pochte, wie das Blut durch seine prall geschwollenen Adern rauschte und sein Puls schließlich unaufhörlich flatterte.
Er riss das Feuerzeug an sich und musste dreimal das Rädchen drehen, bevor die Gasflamme wieder ihren schwachen Schein in den Raum warf. Der schmutzige Steinkreis des Fußbodens starrte ihn leer an. Er schnappte sich die Wodkaflasche, nahm gleich zwei kräftige Schlucke hintereinander und wünschte, er hätte noch etwas anderes dabei. Am liebsten wollte er sich bis zum nächsten Morgen ausknocken. Er war nicht sicher, ob der Alkohol dabei helfen würde, trank aber trotzdem.
Während der Tat hatte er das Gefühl gehabt, er wäre im Recht.
49
Kriminalinspektor Christer Eriksson zog den knittrigen dünnen Regenmantel noch fester um den grüngrauen, etwas zu großen Anzug. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber es blies ein kalter Wind.
Er war nach Huddinge südlich von Stockholm hinausgefahren, um einen Tatort zu untersuchen, es ging um eine Schießerei, die sich vor mehr als einer Woche ereignet hatte. Christer Eriksson hatte den Fall von einem Vorgesetzten übernehmen müssen, der in den Urlaub wollte. Weil sich Zeugenaussagen und Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung widersprachen, hatte er beschlossen, sich vor Ort selbst einen Eindruck zu verschaffen. Seiner Meinung nach hatte irgendjemand schlampig gearbeitet. Niemand war zu Schaden gekommen, und das vermeintliche Opfer war ein arbeitsloser Chilene, der zwar nicht vorbestraft, aber auch kein vollkommen unbeschriebenes Blatt war. Mit anderen Worten, die Angelegenheit hatte keine sonderlich hohe Priorität.
Die Schüsse waren in einem Hochhausgebiet auf einer Anhöhe in der Nähe des U-Bahnhofs Vårby Gård gefallen. Anstatt sich mit dem Wagen über Einbahnstraßen bis nach oben zu schlängeln, hatte er das Auto am Fuß einer Treppe abgestellt, die direkt zum Tatort führte.
Die Treppe bestand aus drei langen Abschnitten. Christer Eriksson befand sich noch auf dem
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