Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Ich dachte, die Zuschauer müssten mich abwählen.«
Stelfox lacht, diesmal schärfer, wirft den Kopf in den Nacken und zeigt seine leuchtend weißen, ebenmäßigen Zähne. Das Allererste, was er hatte machen lassen, als er hierhergezogen war und statt viel Geld - wie damals in London - unendlich viel Geld scheffelte. »Himmelarsch«, sagt Stelfox, »außerdem bist du verdammt nochmal schon einunddreißig. Du kannst dich nicht mal mehr mit deiner Jugend rausreden. Die Zuschauer? Diese Affen? Ich bitte dich. Hör mal, ich mag diese Indie-Masche, okay? Diese ganze ›Ich mein’s ernst‹-Scheiße. Es funktioniert, es bringt uns Zuschauer. Diese ungewaschenen Nullchecker, die sich die Sendung partout nicht ansehen wollten? Jetzt tun sie es. Deinetwegen. Aber tanz gefälligst nicht aus der Reihe und behalt deine komischen Ansichten über die Welt für dich. Halt bei Interviews die Klappe, sonst bist du raus. Kapiert?«
»Klar«, sagt Jesus freundlich lächelnd.
»Ist angekommen«, sagt Herb und steht auf, um zu gehen. Auch Jesus erhebt sich.
»Gut. Danke, Herb. Du kannst gehen. Ich möchte mich nochmal allein mit unserem Heiland hier unterhalten.«
»Okay ...«, sagt Herb, als Jesus wieder auf seinen Stuhl sinkt.
Als sich die Tür hinter Herb schließt, kommt Stelfox um den Schreibtisch, setzt sich auf den Rand und sagt: »Gut, jetzt lass uns mal Tacheles reden.«
»Mmmh, worüber denn?«
»Über dich. Was erhoffst du dir hier?«
»Ähm ... eine Möglichkeit, den Menschen zu helfen? Sie zu einem verantwortungsvolleren Leben zu führen?«
»Na klar.« Stelfox winkt ab. »Einen Wal umarmen, die verfickten Tofu-Wälder retten, schon kapiert. Ich meine, was versprichst du dir musikalisch? Finanziell?« Was für Stelfox natürlich ein und dasselbe bedeutet.
»Ach, vielleicht, mit meiner Band mal wieder eine Platte zu machen. Mit Kris und Morgan auf Tour gehen und ein paar Gigs spielen.«
»Schwachsinn«, sagt Stelfox. »Hör mal ... vergiss den Quatsch. Würde ich mit deiner pickligen Band eine Platte aufnehmen, wenn das hier vorbei ist? Unter Umständen. Wenn ich müsste, dann — ja — könnten wir eine mittelprächtige Indie-Platte produzieren und würden wahrscheinlich allein durch diese Show Gold schaffen. Ihr könntet touren und vor ein paar Tausend Pissern in Großstädten spielen. Oder ...«
»Oder?«
»Du versuchst es solo, setzt die Loser auf die Straße, und wir machen eine Platte mit Coverversionen. Ich suche die Songs aus, du hörst auf mich, was Marketing und Promotion angeht, und wir verdienen verfickt nochmal zwanzig oder dreißig Millionen Dollar. Pass auf, denk drüber nach. Du willst doch Karriere machen, um mittellosen Spastikern zu helfen, oder?«
»Na, ja, so habe ich das noch nicht ...«
»Egal. Halt dich an mich, und du wirst genug Kohle scheffeln, um so viele Scheißsuppenküchen aufzumachen, wie du nur willst.«
»Okay. Aber - äh - sind Sie nicht jetzt schon dreihundert Millionen schwer?« Herb hatte die Zahl genannt.
»Vierhundert«, verbessert Stelfox.
»Und wo liegt da der Unterschied?«
»Bitte?« Stelfox ist ehrlich verwirrt.
»Was ist der Unterschied zwischen vierhundert Millionen und vierhundertdreißig Millionen?«
Stelfox starrt Jesus an, als hätte dieser den Verstand verloren. »Dreißig Millionen Dollar«, sagt er.
8
D IE WOCHEN VERGEHEN, SELBST HIER IN L.A. WIRD ES kälter, als der November ausklingt und plötzlich Weihnachten und damit Jesus’ Geburtstag vor der Tür steht.
Während dieser Zeit steigen die Quoten und häufen sich die Schlagzeilen, während ein Hoffnungsträger nach dem anderen abtritt: Harmonix werden nach einer sichtlich bemüht auf HipHop getrimmten Version von Cindy Laupers »Time After Time« rausgewählt. Laydeez Night müssen gehen, als eines der Mädchen während eines offenen Schlagabtausches anlässlich ihrer Version von Beyoncés »Crazy In Love« Stelfox mal kurz zeigt, wie man im Ghetto mit Kritik umgeht.
Draußen in Amerika gibt es drei Lager, die für Jesus stimmen. Die Indie-Kids, die trotz aller Bedenken zusehen und anrufen. Obwohl sie sich sehr wohl der Tatsache bewusst sind, dass die Show ein Haufen Dreck ist, der für alles steht, was sie hassen. Trotzdem fasziniert sie die Beziehung, die Stelfox meisterlich zwischen sich und Jesus erschaffen hat und die darauf baut, dass er die Musik, die Jesus repräsentiert, und alles, wofür Jesus steht, abgrundtief verachtet. Dann sind da die ganz normalen Zuschauer, denen die
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