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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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menschliche Seele, noch dazu an deren Unsterblichkeit, noch dazu an einen Gott zu glauben. Das sei wissenschaftlich alles bald erklärbar. Er sagte es überzeugt und sicher – weltmännisch.
    Ich habe ja selbst nicht wirklich leidenschaftlich überzeugt geglaubt in jener Zeit vor Papas Krankheit, aber ich habe die Existenz des Menschen nie als biologischen Zufall betrachtet und deshalb auch nie die Existenz Gottes oder irgendeiner schöpferischen Kraft außerhalb der Natur negiert. Ich fand es damals nicht intelligent, das zu tun. Weil es mich immer an diese mittelalterliche Art des Menschen erinnerte, sich für das Zentrum des Alls zu halten und später dann auf dem Stand, auf dem die Wissenschaft gerade steht, völlig steile Thesen zu formulieren. Zum ersten Mal hatte ich das gedacht, als ich mit meinen Eltern in irgendeiner Ausstellung war. Es ging da um Max Planck. Er wurde auf einem Foto zwischen anderen wichtigen Männern gezeigt, die alle mit diesem begeisterten Blick aus bärtigen Gesichtern in die Kamera schauten. Selbstbewusst und stolz. Und dann las ich irgendwo, dass man Max Planck gesagt habe, er solle es bleibenlassen, Physik zu studieren, weil «da gibt’s nichts Großartiges mehr zu entdecken». Die Erde ist ’ne Scheibe. Basta. Hat doch immer was Peinliches.
    Und so ging es mir bei jenem Geschäftsessen mit diesem Mann. Ich erinnere mich, dass ich mich geschämt habe für ihn damals, weil ich ihn so dumm fand. Weil ich dachte, dass das meiste, was wir Menschen für Wissen halten, der Glaube an vorläufige Erkenntnisse ist. Es ärgerte mich, dass er so tat, als wäre alles klar. Und ich wurde sauer. Weil er mit seinem gönnerhaften, selbstgefälligen Geplauder über die Niedrigkeit und Unbedeutendheit des Menschen als Bio-Zufall außerdem jemanden kleinmachte, der neben ihm saß – seine Frau. Und die lächelte auch noch stolz und weinselig und raffte nicht, was da gerade gesagt wurde. Mein Herz schlug mir bis gegen die Zungenwurzel. Ich schluckte aufgeregt.
    «Lieben Sie eigentlich Ihre Frau?», habe ich ihn gefragt. Das war natürlich ein peinlicher Moment, auch für mich. Das Geklapper der Gabeln auf den Tellern hörte schlagartig auf. Er sah kurz seine Frau an, die blickte unsicher lachend in die Runde, dann lachten alle, und dann habe ich gesagt: «Ich glaube Ihnen das nicht. Sie können es nicht beweisen. Sie können nur sagen, dass sie einen Geruch hat, der Sie anlockt, dass Ihre Treue zu ihr gesellschaftlicher Zwang oder eigener Nutzen ist, weil Sie Nestwärme brauchen und sie Ihre Jungen großzieht. Ich wäre sehr traurig, wenn ich Ihre Frau wäre.»
    Ich hatte sehr großes Glück, dass alle schon viel Wein getrunken hatten und mir diese Worte als pubertäre Kessheit ausgelegt wurden. Frech sein wurde in meiner Generation auch oft mit Intelligenz verwechselt. Bei meinen Eltern nicht, ich habe ziemlichen Ärger bekommen. «So was tut man einfach nicht, Esther», meinte meine Mutter. «Aber er hat seine Frau beleidigt. Er hat uns alle am Tisch beleidigt. Wenn er meint, dass er ein Äffchen ist, dann soll er aus dem Napf fressen und nicht so spießig seinen kleinen Finger von der Gabel abspreizen.»
    «Ich glaub, ’s geht los», sagte Mama. «Das nächste Mal bleibst du zu Hause.»
    «Danke. Gern.»
    Am Tisch damals lachten die Erwachsenen, Mama blitzte mich nur an, und Papa hob die Augenbrauen, und ich wusste, dass da noch was kommen würde.
    «Jaaa, die Liebe, das ist so ein Thema», sagte der Mann ohne Seele schwärmerisch, und dann begannen alle, noch mehr Wein zu trinken, und zitierten irgendwelche großen Schriftsteller und ließen den Himmel die Erde küssen und die Seele die Flügel ausspannen – blablabla.
    Mich hatte die Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit, die sich hinter dem Unglauben dieser Generation verbarg, immer abgeschreckt. Dieser mangelnde Ernst, dieses Irrationale, diese Widersprüche zwischen dem eigenen Leben und dem, woran sie angeblich glaubten. Und dann gerne auch ihr Seufzen und dieses «Ich bin nun mal ein kritischer Mensch». Ausgerechnet diese, die nur hörten, was Zeitschriften sagten, was Chefredakteure beim Frühstücksei heraussuchten und zum Thema machten, um es als etwas «Gewusstes» hinzunehmen.
    Die Aufklärung war bei denen ein historisches Ereignis, und als Nachgeborene waren alle auf einmal in der glücklichen Situation, sich automatisch als aufgeklärt begreifen zu können. Sie dackelten nicht mehr an der Hand des Priesters durch die Gegend. Gut.

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