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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Sie fanden ja schnell woanders Halt.
    So wollte ich nicht werden. Weder vor noch nach Papas Tod. Weder mit Gott noch ohne. Und diese Abneigung wurde immer stärker. Ich wollte mich nicht einreihen in diese pseudowissenschaftliche Debatte von Älteren und Gleichaltrigen, die sich selbst kokett als Halbaffen bezeichneten, dabei ihre Krawatten festzogen und Beethovenkonzerte mit Partitur besuchten. Die ihre Monogamie als Kulturzwang empfanden, und im Stillen, wenn sie mit ihren Frauen schliefen, doch wussten, dass sie das nur taten, um Erbgut zu verteilen oder ihrer Daseinssinnlosigkeit etwas Glück – nein, hoppla, Endorphine abzugewinnen.
    So wollte ich nicht werden. Es musste möglich sein, nicht an Gott zu glauben, den Tod als Ende des Lebens zu begreifen und damit umzugehen. Würdevoll. Erwachsen. Andere konnten es offenbar. Für andere, die nicht glaubten, dass es nach dem Tod weiterging, musste er doch irgendwie akzeptabel sein. Das dachte ich. Das dachte ich wirklich. Aber dann sah und hörte ich das peinliche Gehampel einer ungläubigen Erwachsenengeneration, ich sah es nach Papas Tod immer mehr, es verstörte mich, und dann begann es, mich anzuwidern, und ich verlor jeden Respekt, und ich verstand, dass die den Tod selber auch nicht akzeptieren konnten. Dass sie nur so taten. Und dass ihnen zum Tod letztendlich nichts anderes einfiel, außer dass er einen irgendwie traurig macht.
    Meine Not damals war so riesig. Und die Antworten so billig. Ich sah, dass die Sicherungen rausflogen, wenn es um den Tod ging, und sie ernsthaft, die Großen, die Erwachsenen, die Kritischen, die Realisten, den kleinen Prinzen zitierten mit den tröstenden Worten, dass der Tote jetzt ein Stern sei, der von oben auf uns hinunterschaut. Ja. Danke auch.
    «Ich glaube, dein Papa ist immer dabei, der kriegt das hier alles mit», sagten manche, von denen ich wusste, dass sie an nichts glaubten, aber daran dann plötzlich schon, oder so.
    «Dein Vater ist jetzt ein Engel», sagte irgendeine Frau zu mir, die auch nicht gläubig war, und ich hätte so gern zurückgefragt: «Einer von den kleinen, fetten, nackten oder einer von den großen im Nachthemd mit Harfe?»
    «Wir tragen ihn im Herzen weiter», sagten Atheisten und auch Priester, die längst nicht mehr an den Himmel glaubten, und das sollte wohl Trost sein, und offenbar wussten sie nicht, wie beschissen schwer ein anderer Mensch im Herzen wiegt. Wie unmöglich es ist, das allein zu tragen, und wie unsagbar dumm es ist, das als alleinige Antwort zu nehmen für die Frage danach, wo unsere Existenz einmal bleibt.
    Das war so entwürdigend. Das war so wenig. Traut euch doch wenigstens zu sagen, dass er futsch ist, dachte ich, und dass sich in hundert Jahren niemand, kein Einziger an ihn erinnern wird. Dass es so sein wird, als hätte es ihn, mich und dich niemals gegeben. Das glaubt ihr doch eigentlich. Das behauptet ihr doch immer. Wo ist denn hier die Haltung? Wo bleibt denn die geschwellte Brust?
    Die Menschen um mich wussten nicht, wo Papa war. Und weil sie ihn weniger liebten als Mama, Steffi und Johannes und ich, haben sie ihn wahllos als Stern an den Himmel geschossen, als Engel auf Wolken gesetzt oder in den goldenen Tresor gepackt, der ihre Erinnerung war. Einen Menschen in der Erinnerung zu halten, ist ein Gefängnis. Für einen selbst. Ein Gefängnis, das vollgestopft ist bis zum Rand mit Spielzeug und Puppen und Federbetten und Torten mit dickem süßem Zuckerguss. Spätestens nach zwei Wochen weiß man, wie das alles schmeckt, wird einem übel von der Sahne, kleben die Federn zusammen, kennt man die Spiele und fängt an, bei den immer gleichen Melodien der lustigen Kreisel durchzudrehen. Polly Pocket.
    Das ist das, was diese Gesellschaft vorschlägt, mit den Toten zu machen. «In unserer Erinnerung lebt er weiter», «in unserem Herzen wird er nicht sterben». Bullshit! Ich konnte das nicht mehr hören. Was sollte überhaupt dieses irre Gerede vom Herzen. Als sei mein Herz ein ausschließlich ehrenwerter Ort. Als sei mein Vater da in guter Gesellschaft. Als wären unser aller Herzen so wahnsinnig treu. Als wäre das Herz ein heiliger Schrein der Wahrheit, in dem ein Mensch ganz erfasst werden könnte. Herz – und so was ausgerechnet von einer Gesellschaft, die das Wort «Seele» nur mit Synapsen beschreiben kann, aber der pumpende Fleischklumpen unter den Rippen, der eignet sich als neuer Himmel, oder was?
    Wer einen Menschen liebt, hat doch Not. Der will doch wissen, wo

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