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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Waffen, jetzt Häuser, und in ein paar Jahren wird man sehen. Es kommt und geht. «Ein bisschen lächerlich, das alles hier», dachte ich. «Der Bus, der so brav pünktlich kommt. Und wenn der Busfahrer stirbt, kommt ein anderer Busfahrer und hasst seinen Job, und die Sextaner und wir sind dann alle groß, und dann sterben wir und so weiter und so weiter und so weiter.»
    Ich wartete an der Ampel, obwohl kein Auto kam. Lächerlich. Aber über Rot zu gehen, wäre genauso lächerlich gewesen. Vielleicht ist Gehen grundsätzlich lächerlich. Atmen auch. Der Bus kam. Er rauschte an mir vorbei, die Ampel sprang auf Grün, ich rannte los, weil ich wusste, dass er vielleicht nicht auf mich warten würde. Als ich an der Tür ankam, ging sie gerade zu, ich quetschte mich noch durch, zeigte meinen Schülerausweis und setzte mich direkt hinter den Fahrer. Ich keuchte.
    So schnell?
    Ich versuchte, langsamer zu atmen. Der Bus war leer. Der Fahrer schaltete gelangweilt an seinem Radio herum.
    Wollte keine Stunde warten. Wollte nach Hause.
    Und dann?
    Weiß ich nicht.
    Und dann?
    Wir verließen die Stadt und bogen ab auf die breite Straße zwischen den Feldern.
    Und dann? Und warum? Und welchen Schritt als Nächstes?
    Gutes tun.
    Was ist gut?
    Ich will schlafen.
    Für wen?
    Für mich.
    Wer ist das?
    Ich will einfach nur schlafen.
    Dein Sinn?
    Gibt keinen. Muss ich mir selbst geben.
    Ja?
    Das ist dann kein Sinn.
    Oh.
    Das ist Getue. Ich will schlafen.

12
    «Wenn die mir alles umwühlen», sagte Mama aufgebracht in den Hörer.
    Sie saß auf dem alten Biedermeiersofa, das seit neuestem im Flur stand, weil Papas alter Schreibtisch aus dem Büro den Platz des Sofas im Wohnzimmer eingenommen hatte. Ich kam gerade aus der Schule. Schwänzte, aber das merkte sie nicht. Als sie mich sah, nahm sie den Hörer vom Ohr, tippte auf ihren Arm und zeigte auf die Wohnzimmertür. Ich folgte ihr und öffnete die Tür. Da saß Oma im Sessel. Von ihrem Arm führte ein Schlauch zu einer Plastikflasche, die mit gelbem Geschenkband am Kronleuchter angeknotet war. Das war ihre Infusion. Wenn sie die bekam, musste man ihre Hand sehr fest halten, weil ihre Venen so brüchig waren und die Nadel ein Massaker anrichten konnte, wenn Oma sich zu viel bewegte. Das bedeuteten Mamas Zeichen am Telefon also – dass ich die Hand halten soll.
    Der Fernseher lief, aber der Ton war abgestellt. Ich ging vor Oma in die Hocke. Nahm ihre Hand und hielt sie fest. «Salü, Thomen Evle», sagte ich.
    «Man müsst die Nähte ä weng feschter ziehe.»
    Ich lachte. «Was müsste man?», und sie bemerkte wohl, dass sie gerade etwas Seltsames gesagt hatte.
    «He nai. I schwätz bloß so.»
    «Ja», sagte ich, und dann schwiegen wir ein bisschen. Sie tastete mit der zitternden Hand den Arm mit der Nadel ab, den ich festhielt. Ich griff schnell mit meiner freien Hand nach ihrer suchenden, fasste sie und saß nun mit überkreuzten Armen vor ihr und traute mich nicht, sie loszulassen, auch wenn mir meine Tasche über die Schulter rutschte und schwer an meinem Unterarm hing. Ich wusste, dass, wenn ich eine ihrer Hände kurz losließe, um meine Tasche abzulegen, sich meine Großmutter mit einer hastigen Bewegung verletzen könnte. Also verharrte ich in dieser seltsamen Haltung, und mein Arm, an dem die Tasche hing, begann schon ein wenig zu zittern. Die Hand, in die die Infusion lief, war kalt, die andere warm.
    «Bisch mi liebs», sagte sie auf einmal, die blinden Augen auf meine Stirn gerichtet.
    «Mh», machte ich lächelnd. Kurz danach rutschte meine Tasche, und dann platzte die Vene, und die Infusion verteilte sich unter der Haut, und der Arm schwoll an. «Verdammt», ich warf die Tasche auf den Boden und presste meine Hand um ihren dünnen Arm.
    Mama kam rein. Sie sah müde aus. Eine Haarsträhne war ihr aus der Haarspange gefallen und hing ihr ins Gesicht. Sie klemmte sie hinters Ohr. «Den ganzen Garten haben sie mir umgewühlt!», sagte sie.
    «Wer?», fragte ich.
    «Die Viecher», sagte Mama.
    «Welche Viecher?»
    «Die Schweine.» Und dann sah sie, wie ich die Nadel aus Omas Arm zog, und lief schnell zum Kronleuchter, um das kleine Plastikrädchen am Schlauch zuzudrehen.
    «O Mensch», stöhnte sie gereizt, «du musst immer erst hier oben zudrehen, bevor du sie rausziehst.»
    «Hab ich vergessen.»
    Der Geruch vom Desinfektionsmittel stach mir in der Nase, als ich die Gaze damit einsprühte und mit einem Pflaster auf den Arm klebte. Und du bleibst, oder was, dachte ich, du

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