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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Stinkegeruch bleibst uns erhalten, ja? Auch wenn Papa tot ist?
    Mama schimpfte, während sie die Infusionsflasche gegen das Licht vom Kronleuchter drehte. «O Mensch», sagte sie wieder, «das hat sich ja toll gelohnt.» Nicht einmal ein Viertel der Infusion war durchgelaufen. «Da kann ich direkt wieder beim Arzt anrufen. Kann der direkt noch mal kommen. Hab ja sonst nichts zu tun heute.»
    «Von was für Viechern hast du vorhin geredet?», fragte ich.
    «Ach, da draußen», sagte sie ärgerlich und untersuchte Omas Arm. «Schweine, eine ganze Rotte muss das gewesen sein. Schau’s dir halt an.»
    Ich stand auf und ging zur Terrassentür, öffnete sie und trat hinaus. Weil der Himmel so bewölkt und grau war und dadurch fast so dunkel wie in der Abenddämmerung, sah ich erst nicht, was Mama meinte. Aber als ich ein paar Schritte in den Garten hineinging, erkannte ich, dass der ganze obere Teil des Gartens umgewühlt worden war, einschließlich zweier Blumenbeete. Die Erde lag aufgebrochen da. Und als ich ein Stück weiterging, sah ich, dass es unten im Garten, wo die Apfelbäume standen, genauso aussah. Alles aufgewühlt, keine glatte Fläche mehr. Es sah hässlich aus. Und auch die Halterung von dem großen Netz, das Mama und ich im Herbst so mühsam über den Teich gespannt hatten, damit nicht die ganzen Blätter hineinfielen und das Wasser erstickten, war umgeknickt, an der Stelle, wo gewühlt worden war.
    Es war schwer und voll von Laub in das schwarze Wasser gesunken.
    Wir räumten das nicht auf. Es fror in diesem Winter so ein.

13
    Die Petze kam heimlich. Sie war fast höflich. So elegant jedenfalls, dass sie mich nie direkt ansah. Sie fragte nur. Ich antwortete. Ich dachte, es sei Denken. Ich glaubte in jener Zeit noch, in Stille und einsam über das Dasein des Menschen, den Tod und die mögliche Absurdität unserer Existenz nachdenken zu können. Aber Geist denkt nie allein. Man hat immer Gesellschaft im Denken, auch wenn man es nicht merkt. Das wusste ich damals alles noch nicht.
    Irgendwie finden Gedanken ihren Weg in die Wirklichkeit. So hatte ich es zwar im Stück «Die Physiker» gesehen. Da wurde gesagt: «Was einmal gedacht wurde, das kann man nicht mehr zurücknehmen.» Aber ich kam damals nicht darauf, dass es offenbar jemanden geben musste, der diese Gedanken verriet.
    Die Petze kam heimlich. Ich weiß nicht, wann. Sie hatte kein Interesse an mir, aber dennoch blieb sie. Beinahe treu. Und, ja, eigentlich kann man nicht sagen, dass es ein Gespräch war. Ich glaube, dass sie zählte. Vielleicht Sekunden, ich weiß es nicht. Sie war die kleine Schwester vom Tod – vielleicht auch nur seine Nutte oder sein Babysitter. Keine Ahnung. Jedenfalls zählte sie die ganze Zeit leise und feilte an irgendwas. Ich hatte keine Ahnung, dass sie so ein krasses Programm hat. Dass sie es in ihrer stillen, höflich bestimmten Art schaffte, andere Menschen von Hochhäusern springen zu lassen oder behutsam auf die Gleise zu drängen. Und ich ahnte auch nicht, dass es schon grundsätzlich eigentlich nicht möglich war, mit ihr zu streiten.
    Das war nicht ihre Art. Dazu fehlte ihr Leidenschaft.
    «Wenn mit dem Tod das Leben beendet wird, dann muss man aus dem Leben das Beste machen.» Sie lächelte nur.
    «Nur weil es keinen Gott gibt, muss die Welt nicht absurd sein. Und wenn sie absurd ist, dann kann ich immer noch mir selbst einen Sinn …» Sie grinste fast.
    «Ich kann immer noch mir selbst einen Sinn geben. Wenn ich in ein paar Jahren nicht mehr traurig bin, dann …» Sie hörte gar nicht zu.
    «Ich hab einen Namen, einen Charakter, ich habe einen Willen!», bellte ich sie an. Sie hielt dann kurz inne, lächelte nur und feilte weiter, als hätte sie nichts gehört.
    «Ich habe eine Mutter, eine Schwester, einen Bruder, die würden mich vermissen. Ich bin registriert! Hast du gehört? Ich bin registriert. Ich hab einen Perso – ich hab die Menschenrechte, die sind aufgeschrieben, ich gehör dazu. Ich bin wichtig. Ich hab schon Menschen Gutes getan, ich hab die Welt ein Stückchen besser gemacht an manchen Stellen. Das macht doch Sinn! Das ist ja wohl gut.» Sie hob nicht einmal den Kopf, als ich das sagte. Sie sah erst auf, als sie das Loch fertiggeknibbelt hatte, durch das diese Argumente rieseln mussten, pustete den Rand frei, schnitt die letzte kleine Ritze an die untere Kante des Loches, damit es losgehen konnte.
    «Egal», sagte sie, hielt ihre Hand in den Sandstrom, und die Worte glitten ihr streichelnd

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