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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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schwarzer Samt.
    Gott?
    Das hat der Clown gefragt, das war nicht ich. Ich schweige so lange mich selbst aus, bis dieses «Du sollst», das seit ein paar Wochen in mir dröhnt, das Letzte ist, was klingt.
    Gott?
    Das war wieder der Clown. Das war nicht ich. Er unterdrückt sein Lachen. Ich sehe ihn nicht, aber ich weiß, dass er hinter mir steht oder an der Decke hängt, irgendwo ist er, in diesem großen Raum. Es ist nicht schlimm, seine Stimme ist verhältnismäßig fiselig und hoch. Das Dröhnen nach Wahrheit ist nicht verwechselbar.
    Vor ein paar Wochen habe ich begonnen zu studieren. Ob wir an Gott glauben, haben wir Kommilitonen uns gefragt. Keiner glaubt. Nur zwei haben gesagt, dass sie sich vorstellen könnten, dass es da eventuell noch etwas gibt. Wir standen im Kreis auf dem Campus. Ich mochte, dass sie alle von mir überhaupt nichts wussten.
    «Und du?», hat mich die eine gefragt.
    «Ich glaube, dass es ihn gibt. Aber ich sprech nicht mit ihm.»
    Ich sagte nicht, dass ich die ganze Zeit schon nonstop an ihn denke. Die ganze Zeit an nichts anderes denken kann und dass es mir sehr schwerfällt, morgens zur Uni zu gehen und meine Aufgaben zu erledigen, die ich eigentlich nur vorläufig blind übernommen habe, weil man das ja wohl so macht in Deutschland, obwohl von außen an mich etwas sehr viel Größeres herantritt, ein sehr viel stärkeres «Du sollst» als das einer Uni oder einer Gesellschaft. Ich sage nicht, dass ich fast schon nichts anderes mehr will als Gott, und keine Ahnung habe und nicht begreife, woher die Menschen den Arsch in der Hose haben, ihn anzusprechen.
    «Gott?» Das war der Clown schon wieder. Aber mit meiner Stimme, und zwar ganz weinerlich. Oben links hängt er, an einem der ausgeschalteten großen schwarzen Scheinwerfer, die mit den Klappen vorne dran, die das Licht dahin lenken, wo es hin soll. Der äfft nach. Kenne ich schon. Melancholie ist etwas, das es im Leid nicht mehr gibt. Darüber macht er sich immer lustig. Um sich zu trauern, das findet er witzig. Vielleicht ist alles für ihn verkitschte Melancholie. Ich bin versaut von ihm. Ich empfinde Ekel, wenn ich manche Menschen weinen sehe, mich selbst finde ich am albernsten dabei. Ich weine aber auch nie.
    Der Bühnenboden hier am Vorhang ist aus schwarz gestrichenem Holz, das schon ziemlich abgewetzt ist an dieser Stelle. Ich weiß nicht, seit wann genau ich hier wieder stehe.
    Mein Bett steht dahinten, wo die Bühne einen Bogen macht, ganz außen. Neulich nachts habe ich einmal die Bibel aufgeschlagen, weil ich nicht schlafen konnte, weil ich so unruhig war, weil ich dort liegend nur an Gott denken konnte. An die vergangenen Tage, an längst vergangene Jahre, in denen ich zu ihm sprach. Da habe ich geseufzt und wollte etwas über ihn lesen. Etwas, das nichts mit mir zu tun hatte. Gedanken über Gott von jemand Fremdem. Ich schlug also die Bibel auf, und da trafen mich in meinem Bett diese Sätze: «Du lässt mich nicht mehr schlafen; ich bin voll Unruhe und kann nicht reden. Ich sinne nach über die Tage von einst, ich will denken an längst vergangene Jahre. Mein Herz grübelt bei Nacht, ich sinne nach, es forscht mein Geist. Wird der Herr mich denn auf ewig verstoßen und mir niemals mehr gnädig sein?»
    «Und mir niemals mehr gnädig sein», das war nicht ich. Das war wieder der Clown. Er zückt ein besticktes Taschentuch mit Papas Initialen und schnäuzt besonders laut hinein.
    «Als ob Papa bestickte Taschentücher gehabt hätte, du Spast.» Das habe ich gesagt.
    «Der Mensch sucht nach Sinn.» Die Stimme kommt aus einer der hinteren Reihen. Ich drehe mich um. «Darum müssen wir den Menschen etwas geben, woran sie sich festhalten können.» Ein kleines schwaches Licht geht an. Es ist das Technikerpult, da sitzt ein – ein Bischof? Er ist dick. Und sein Gesicht hat weiche Züge. Ein bisschen zu weich vielleicht.
    «Der Mensch», das ist nun eine zweite Stimme, da sitzt jemand direkt neben dem Bischof. Er trägt auch eine Mitra, aber darunter kein Bischofsgewand, sondern ein T-Shirt mit der Aufschrift «Humanism – yeah schackalacka». «Der Mensch», sagt dieser Mensch, «hat nicht nur eine biologische Seite. Wir müssen ihm auch etwas bieten, was sein Bedürfnis nach Kreativität abdeckt. Kunst zum Beispiel. Ich habe hier ein Töpfchen mitgebracht, wenn Sie bitte probieren wollen.» Er steht auf und kommt an den Bühnenrand, öffnet das Gläschen – es macht «klick». Das sei, sagt er, ein Hinweis auf die

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