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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Studentencafés oder Talkshows rumgammeln und das Gegenteil verkünden. Die mit ihrer Existenz kokettieren und sagen: «Alles ist nur Erscheinung – es gibt keine Realität», oder auch die, welche über sich selbst nicht mehr zu sagen wissen, als dass sie bloße Materie seien, die sich selbst reflektiert.
    Dann sind wir rührende Gestalten, säuselnde Träume, kitschige Bilder und gepflegtes Fleisch, das Hosen trägt.
    Ich hab keine Wut auf die, die so etwas sagen, aber ich hasse den Geist, der dahinter steht. Weil ich das schabende Geräusch und das Kratzen nicht vergessen werde, weil ich die Petze kenne, die einem die Wirklichkeit wegfrisst. Ich rieche so etwas, ich wittere das, und mich kotzt eine Gesellschaft an, die ihren Kindern ums Verrecken ein Selbstbewusstsein anerziehen will, nur um es später wieder zu rauben. Selbst? Seele? Was ist das? Wir haben keine. Ich habe das drei Jahre lang gelebt. Nicht gesagt. Nicht als Theorie verbreitet, sondern gelebt und bin froh, dass ich damit nicht in der Klapse gelandet bin.
    Schluss. Ich hatte «Ich» gesagt.
    Und dann sagte ich du. Und ich sagte «meine Mutter», «meine Schwester» und «mein Bruder».
    Und ich sagte: «Papa war schön.» Und um mich herum tobte es noch: «Schön gibt es nicht! Schön ist relativ, schön ist, was du anerzogen bekommen hast. Du kannst gar keine wahre Aussage machen in diesem Leben, es gibt keine Wahrheit! Und darum gibt es auch keine Schönheit …» Aber das warf mich nicht mehr um.
    Dass ich Papa geliebt habe, soll ich dir beweisen? Die Schönheit soll ich dir beweisen? Die Schönheit meiner Mutter und meiner Schwester, die meiner Großmutter und meines Bruders?
    Und wohin soll ich greifen, um sie einzufangen? Zwischen ihre Augen? An die Stelle oberhalb ihrer Stirnen? Soll ich eine Linie ziehen zwischen dem weißen Haar meiner Großmutter, das durch weißes Sonnenlicht voller wirkt, und dem Ästchen, das aus dem Busch neben ihrem Rollstuhl herausragt und da im Wind zittert, und dann mit dem Zirkel einen Bogen schlagen zu ihren kleinen Füßen in den Fellpantöffelchen, die einen Rhythmus wippen zur Melodie, die meine Mutter gerade singt?
    Und hätte ich das Rot aus dem Gesicht meines Bruders mit einem Lappen abstreifen sollen, als er den Namen von dem persischen Mädchen aussprach, in das er sich, wie er im gleichen Moment bemerkte, verliebt hatte? Hätte ich ihm da ein feuchtes Tuch über das Gesicht legen, die Farbe hineindampfen lassen und dann aufbewahren sollen? Ich weiß nicht, wie ich das alles hätte berechnen sollen. Ich habe keinen Fotokurs gemacht, um es festzuhalten, und ich kenne auch die Schubladen nicht, in denen ich all dies aufbewahre, und ich habe keinen Zollstock und kein Maßband und nichts zur Vermessung dieser Wirklichkeit, und ich habe nicht einmal die Sprache, um es hier wiederzugeben. Meine Mutter war schön, meine Schwester auch, mein Bruder auch.
    Und die sind wirklich. Genau wie ich. Und bei denen gibt es irgendetwas, was sie selbst sind, einen kleinen freien Moment, der ihre Wirklichkeit erst ausmacht, und irgendwo da sehe ich sie, und ja, es kommt mir selber vor wie eine bloße Erscheinung, wenn ich die Schönheit aufblitzen sehe, aber die Kraft und der Wahrheitsgehalt darin dünken mir unendlich viel stärker als Fels.
    Und wenn du schreist: «Es gibt keine Wahrheit», dann beweis mir die Wahrheit an dem Satz, und wenn du es nicht kannst, dann geh zurück in die Gräber und zersetz die Leiber, die wirklich tot sind, aber nicht meinen Geist. Und nicht den meines Landes. Denn du wirst, auch wenn die Hälfte der Menschen dir deine Sätze nachquakt, kaum jemanden finden, der darauf besteht, dass alles, was er sagt, eigentlich unwahr ist. Und du wirst nicht viele finden, die darauf bestehen, dass Wahrheit relativ ist, wenn es darum geht, ob man ihre Kinder foltern, ficken und fressen darf. Sie werden relativ klar, sie werden ziemlich bestimmt den Anspruch haben, die Wahrheit zu sagen, dass das ein Verbrechen wäre. Sie würden sogar «böse» sagen und es überkulturell, überkonfessionell, über den Zeiten und oberhalb der Meinungen ansiedeln.
    Ich weiß nicht viel. Ich weiß nicht, was gut und was böse ist. Ich habe Ahnungen, ich habe die Wahrheit nicht. Aber ich glaube, dass es sie gibt. Oberhalb. Dahinter. Dass man sie streifen kann. Ich glaube, dass es ein Sein der Dinge gibt – dass es die Wirklichkeit gibt und darum auch die Wahrheit der Welt.
    Die Menschen suchen nach ihr. Es werden Lieder

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