Gott geweiht
Vergebung, aber es muss getan werden.«
Eine Pause. Dann: »Ich will Sie nicht auch noch töten. Ich fühle mich Ihnen nahe.«
»Warum machen Sie weiter?«
»Ich könnte jetzt nicht aufhören, selbst wenn ich wollte. Das sollten Sie doch wissen.« Sein Tonfall war halb ironisch, halb ernst.
»Warum stellen Sie sich nicht? Dann könnten Sie sich ausruhen – Sie könnten endlich Frieden finden.«
Sein Besucher atmete ein – das tiefe Rasseln einer verstopften Lunge.
»Von wegen. Warum denken Cops immer, dass Verbrecher sich von so etwas einwickeln ließen? Ist in der Geschichte der Polizei jemals jemand darauf hereingefallen?«
Wieder eine Pause.
Dann sagte Lee: »Warum mussten Sie Eddie umbringen?«
»Tut mir leid, aber davon weiß ich nichts. Und jetzt werde ich gehen – ich habe eine Verabredung mit dem Tod«, sagte er und stand auf.
Er war zur Tür hinaus, bevor Lee die Klingel fand. Als die Tür sich hinter dem Mann schloss, stellte Lee sich vor, wie er bereits auf halbem Wege zur Seventh Avenue war, vielleicht über die Treppe, damit ihn niemand im Fahrstuhl sah.
Lee überlief ein Schauer, und er starrte aus dem Fenster, während der Mond hinter einer düsteren Wolke verschwand. Er würde diese Stimme nie vergessen. In ihr schwang so viel angestauter Zorn über ein verpfuschtes Leben mit. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er sie schon einmal gehört hatte, aber er konnte sich nicht besinnen, wo.
KAPITEL 56
Am folgenden Nachmittag kam Chuck Morton mit Detective Butts im Schlepptau. Der Detective wirkte noch zerknautschter als üblich und kratzte sich am Kopf, während er sich unbehaglich im Zimmer umschaute. Nach einer kurzen Begrüßung hielt er sich auf der anderen Seite des Raumes auf und inspizierte die unbenutzten Krankenhausgeräte am leeren Bett gegenüber.
»Wir wollten nur kurz sehen, wie es dir geht«, sagte Chuck, doch Lee ahnte, dass das nicht der wahre Grund für ihren Besuch war.
»Mir geht’s gut genug, um entlassen zu werden«, erwiderte Lee.
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
»Sie können mich nicht gegen meinen Willen hierbehalten.«
»Meinst du nicht, du solltest auf deinen Arzt hören?«
»Ach, was wissen Ärzte denn schon?«, mischte Butts sich ein. Er ließ seinen massigen Leib auf einen Plastikstuhl sinken und fächelte sich mit einem Paket sterilisierter Papierhandtücher Luft zu.
»Du musst dich nicht dafür bestrafen, dass wir den Kerl noch nicht geschnappt haben«, sagte Chuck.
»Ich bestrafe mich nicht«, entgegnete Lee, auch wenn er wusste, dass sein Freund nicht ganz falsch lag.
»Okay, gut«, erwiderte Chuck. »Meinst du nicht, du solltest trotzdem besser auf deinen Arzt hören?«
Lee musterte seinen Freund. Er wirkte nervös und befangen.
»Hey, ich brauche unbedingt einen Kaffee«, verkündete Butts. »Sonst noch jemand?«
»Nein, für mich nicht«, erwiderte Chuck.
»Klar«, sagte Lee. »Klingt gut.«
»Bin gleich wieder da.« Butts verließ das Zimmer so eilig, als ob er es gar nicht abwarten könne, sich möglichst schnell abzusetzen.
»Ich glaube, er mag keine Krankenhäuser«, bemerkte Lee.
»Ja – scheint so«, antwortete Chuck abgelenkt.
Es folgte eine peinliche Pause, dann legte er Lee die Hand auf die Schulter.
»Du, hör mal, Lee …«
Etwas an seinem Ton ließ Lee einen kalten Schauer der Angst über den Rücken laufen.
»Was ist? Hat es ein weiteres Opfer gegeben?«
Chuck wich seinem Blick aus. »Nein, das ist es nicht.«
»Was dann? Was ist los?«
Chuck kaute an seiner Unterlippe und starrte auf seine Schnürsenkel.
»Der Bürgermeister sitzt dem Oberstaatsanwalt im Nacken, na ja, und der macht uns jetzt Feuer unterm Hintern.«
»Und? Worauf willst du hinaus?«
»Tja, also, sie machen mir Druck, das FBI hinzuzuziehen.«
»Einen Profiler von denen, meinst du?«
»Ja.« Chuck schaute kläglich drein. »Es tut mir leid, Lee – ich bin da nicht scharf drauf, aber jetzt, wo du ausfällst und so … und dann ist da auch noch die Sache mit der Dienstaufsichtsbeschwerde …«
»Meine Güte, Chuck, du weißt doch, was passiert, wenn das FBI erst einmal dabei ist, oder nicht?«
»Natürlich weiß ich das. Die kommen mit einem Haufen Leuten und massig Geld und reißen sich den Fall unter den Nagel. Dann heimsen sie die Lorbeeren für unsere Arbeit ein, und wir stehen im Regen.«
»Ehrlich, Chuck, ich bin wiederhergestellt! Ich kann hier heute noch –«
»Nein, kannst du nicht. Dr. Patel sagt, du solltest
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