Gott geweiht
hohe Stirn, ihr wisst schon, so als ob sein Haaransatz zurückgeht.«
»Dieser Sack, den er bei sich hatte«, sagte Eddie, »sah der voll aus?«
»Und ob«, bestätigte Willow und kratzte sich am Kopf. »Das war ja das Merkwürdige daran.«
»Haben Sie gesehen, ob er irgendwas wieder mit herausgebracht hat?«, fragte Lee.
»Nö. An der Ecke hat sich ein Typ ’ne Zigarette angesteckt, und ich bin hin und hab eine geschnorrt. Danach hab ich nichts mehr gesehen.«
»Wissen Sie noch, was er angehabt hat?«
»Mhm … dunkle Kleidung. So ’n Regenmantel, wie ihn die Typen vom FBI tragen, aber natürlich war der nicht vom FBI – viel zu kümmerlich dafür.« Er grinste und offenbarte dabei einen Mund, der dringend einen Zahnarzt brauchte. Mehrere Zähne waren abgesplittert, andere fehlten ganz.
»Sonst noch was?«
»Oh, ja – eins war da noch.«
»Was?«
»Seine Atmung. Die war so pfeifend und keuchend, versteht ihr? Wie bei einem Typen, der schon zu lange Raucher ist – nur dass er sich keine angesteckt hat oder so was.«
»Meinen Sie, dass Sie ihn anhand eines Phantombilds wiedererkennen würden?«
Willow kratzte an einer verschorften Stelle an seinem Kinn. »Ich weiß nicht – vielleicht. Was springt für mich dabei heraus?«
»Okay, hören Sie«, sagte Lee, »Sie haben uns sehr geholfen. Gibt es irgendetwas, das wir Ihnen besorgen können – was zu essen, einen Platz zum Schlafen?«
Willow hielt die Stange Zigaretten hoch. »Mehr von denen hier?«
»Hören Sie«, sagte Lee und holte fünf Zwanzig-Dollar-Scheine aus seiner Brieftasche. »Wenn ich Ihnen das hier gebe, versprechen Sie mir dann, dass Sie sich davon Essen und eine Unterkunft beschaffen?«
Willow nahm das Geld und zählte es. »Du hast einen Fehler gemacht, Mann – das hier sind Zwanziger.«
»Das ist kein Fehler. Ich möchte, dass Sie sie nehmen. Aber bitte kaufen Sie sich was Anständiges zu essen, ja? Und vielleicht ein Zimmer beim CVJM ?«
»Wohl eher beim JVJM «, erwiderte Willow und stopfte sich das Geld in seinen Schuh. »Ich bin nämlich Jude.«
»Schon gut, schon gut«, sagte Lee. »Werden Sie es tun? Versprochen?«
»Klar!«, rief Willow aus, doch seine Aufmerksamkeit galt bereits einem vorbeilaufenden Jogger.
» Der ist eindeutig ein FBI -Agent«, flüsterte Willow. »Seht ihr? Die haben mich schon gefunden – die sind schnell, sag ich euch.«
Ohne sich zu verabschieden, stand Willow auf und verschwand in Richtung des Bootshauses.
Eddie sah Lee an. »Tja, ich schätze, damit ist dann Ende der Durchsage.«
»Ja«, sagte Lee. »Hör zu, wie kann ich dich erreichen?«
»Kannst du nicht«, erwiderte Eddie. »Ich rufe dich an.«
Lee wollte protestieren, doch er wusste, dass Eddie nur noch unzugänglicher würde, wenn er Druck machte. Während sie den Park verließen, überlegte er stattdessen angestrengt, warum jemand mitten in der Nacht einen Müllsack in eine Kirche schleppt.
KAPITEL 31
Seine Mutter würde bestimmt nichts dagegen haben, dass er Zeit mit diesem Mädchen verbrachte. Sie war so zart, so zerbrechlich, eher wie ein kleiner Vogel und gar nicht wie ein Mädchen. Ein kleiner Spatz – ja, das war es. Sie war wie ein winziger verhungerter Spatz, und er wollte sie im Arm halten und füttern, bis sie einschlief, sicher und zufrieden. Das war keine Wollust; es waren Gefühle, wie man sie auch für ein geliebtes Haustier hatte, man wollte für dieses Wesen sorgen wie für einen hilflosen Welpen. Daran war doch bestimmt nichts Böses?
Er bedeckte die Ohren mit den Händen, als könnte er damit die Stimme zum Schweigen bringen, doch sie hörte einfach nicht auf, machte ihn schwindlig.
Sam-u-el! Wie konntest du das nur tun? Wie konntest du diese widerliche Kreatur berühren, diese dreckige kleine Hure? Wie konntest du mir das antun – und Ihm? Willst du, dass Jesus deinetwegen weint? Willst du das?
Der hölzerne Jesus am Kreuz über ihrem Bett schaute auf ihn herab, und die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschnitzt. Die gequälten Augen flehten ihn um Hilfe an – ihn, Samuel –, als ob er die Leiden des Herrn mildern könnte.
Sam-u-el! Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Dachtest du, Jesus weiß nicht, was für schmutzige Gedanken du hast?
Er fand nicht, dass seine Gedanken schmutzig waren, aber vielleicht hatte er unrecht. Seine Mutter hatte gesagt, dass der Teufel dem Sünder manchmal etwas einflüsterte, um ihn zu verwirren – vielleicht war auch sein Herz in Wirklichkeit voller Wollust. Er
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