Gott geweiht
machen, was sie wollen.«
»Natürlich geben wir eine Warnung raus«, sagte Chuck und rieb sich die Augen.
»Das wird gar nichts helfen«, sagte Nelson. »Dieser Kerl hat Geduld. Unsere einzige Chance, weitere Morde zu verhindern, ist, ihn zu schnappen.«
Als sie das Büro verließen, nahm Nelson Lee beiseite.
»Was ist los?«, fragte Lee, weil sein Freund so bekümmert wirkte.
»Ich mache mir Sorgen um dich, mein Junge. Du siehst müde aus. Vielleicht solltest du dich eine Zeit lang beurlauben lassen und dich ein bisschen ausruhen?«
»Mir geht es gut«, antwortete Lee.
»So siehst du aber nicht aus. Machen dir die SMS zu schaffen? Ich kann mir vorstellen, dass dich das ganz schön aufwühlt.«
»Mit mir ist alles in Ordnung – wirklich. Und ich muss diesen Fall unbedingt zu Ende bringen.«
Nelson wirkte ernst und grimmig. »Ich hoffe nur, du weißt, worauf du dich da einlässt.«
KAPITEL 33
Der Park war leer, genau so, wie Willow ihn mochte. An diesem Morgen leisteten ihm nur die Wildgänse Gesellschaft, die sich hier auf ihrem jährlichen Rückflug aus Florida ein wenig erholten. Er saß auf der Bank und sah ihnen dabei zu, wie sie in der klumpigen braunen Erde herumpickten.
Willow rieb sich die Hände und schaute sich zufrieden um. Heute war ein guter Tag. Bis jetzt ließen ihn die Stimmen in Ruhe mit ihrem Flüstern und ihrem Spott. Seine Medikamente – wenn er sich denn daran erinnerte, sie zu nehmen – konnten sie nicht vollständig zum Verstummen bringen. Alle waren sie hinter ihm her, mahnten die Stimmen, wenn sie mit ihm sprachen. Die CIA , das FBI und manchmal Außerirdische, die sich als Jogger, junge Mütter oder sogar deren Kinder tarnten.
Paranoide Schizophrenie , so nannte man das gemeinhin. Ihm war es scheißegal, welche Namen sie dafür erfanden.
Verdammt, er brauchte eine Zigarette. Er ging durch seine Taschen, fand aber nichts außer etwas Bindfaden und leere Fast-Food-Verpackungen. Chicken McNuggets, die aß er am liebsten. Er stopfte sich gerne Sachen in die Taschen, weil das wärmte.
Willow rieb sich wieder die Hände, und als er hochsah, stellte er fest, dass ein Mann auf ihn zukam.
»Hey, haben Sie eine Zigarette?«, rief Willow.
Der Mann lächelte.
»In meinem Rucksack – aber den habe ich im Gehölz dahinten gelassen.«
Das fand Willow zwar merkwürdig, aber er zuckte mit den Schultern.
»Den würde ich da nicht herumliegen lassen, kann sein, dass ihn jemand klaut.«
»Komm mit, ich geb dir eine Zigarette.«
»Okay.« Willow runzelte misstrauisch die Stirn. »Du bist aber nicht vom FBI , oder?«
Der Mann wirkte überrascht. »Um Himmels willen, nein, die sind hinter mir her. Sag denen nicht, dass du mich gesehen hast, okay?«
Willow blinzelte ihm zu. »Nur keine Sorge, bei mir ist dein Geheimnis sicher.«
»Na, ich wusste doch, dass auf dich Verlass ist. Also, wie wär’s jetzt mit einer Zigarette?«
Willow stand auf und folgte dem Mann ins Gehölz auf der anderen Seite des Wegs.
Unten am Ufer des Teichs setzten die Gänse ihre Suche nach etwas Essbarem fort. Als zwischen den Bäumen erstickte Schreie herausdrangen, hoben sie nicht einmal die Köpfe.
KAPITEL 34
Chinatown dehnte sich seit Jahren schon in die benachbarten Stadtteile aus, im Norden über die Grenze zu Little Italy hinüber und im Süden in den Court District. Es war vielleicht die lebhafteste – und chaotischste – Gegend in ganz Manhattan. Als Kathy Azarian Lee anrief und fragte, ob sie sich irgendwo in der Stadt verabreden könnten, dachte er sofort an Chinatown.
Sie trafen sich am Chatham Square und spazierten bis zum Sonnenuntergang zusammen durch die gewundenen Gassen. In den ersten Tagen nach dem 11. September war ihm das Viertel wie das Set eines Katastrophenfilms vorgekommen. Es hatte alles so irreal gewirkt, die einst vertrauten Straßen glichen einem gewaltigen Schlachtfeld. Auch jetzt, während er mit Kathy an seiner Seite in der Abenddämmerung hier entlangspazierte, konnte er die entsetzliche Traurigkeit noch immer spüren. Aber diesmal gesellte sich ein neues Gefühl hinzu – Hoffnung. Die meiste Zeit über gingen sie schweigend nebeneinanderher, blieben ab und zu stehen, um sich etwas in einem Schaufenster anzusehen oder den Duft gerösteter Ente einzuatmen, der ihnen aus einer Imbissstube entgegenwehte. Lee versuchte, nicht an seinen Fall zu denken, bekam aber die Zeitungsschlagzeile nicht aus dem Kopf.
Schlitzer verbreitet Angst und Schrecken – Polizei
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