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Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Titel: Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Müller
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ist da. »Ja, also ich bin nervös«, sagt Alice Ernst. »Entspannt sind wir erst, wenn die Sache hier durch ist und die Abstimmung für uns positiv ausgegangen ist. Ansonsten sitzen wir heute Abend wieder zusammen und überlegen uns etwas Neues.« Um den Hals trägt Alice Ernst eine Kette, der Anhänger ist ein kleines Kreuz.
    Der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses eröffnet die Sitzung. Es gibt nur einen Tagesordnungspunkt. Es sprechen die Vertreter der Parteien. Björn Seelbach von der SPD und Richard Ralfs von den Grünen plädieren wie erwartet dafür, die Stadt zu beauftragen, dem Träger Kirche zu kündigen. »Der Kindergarten muss wieder funktionieren, das ist das Wichtigste«, stellt Björn Seelbach klar. Es gehe ihm nicht darum, sich in arbeitsrechtliche Details einzumischen, aber das Verhältnis zwischen den Eltern und dem Kirchengemeindeverband sei unwiderruflich zerstört. Eine weitere Zusammenarbeit mit diesem Träger sei für die Eltern nicht vorstellbar. »Die können nicht mehr miteinander. Das müssen wir sehen.« Da habe die Stadt eine Verantwortung. Man müsse sich, sagt Richard Ralfs, schnell auf die Suche nach einem neuen Träger machen und klären, was das für die Arbeitsverhältnisse der anderen Mitarbeiter in der Einrichtung heiße. Auch die Freien Wähler sprechen sich in der Sitzung für den Wechsel aus. Die CDU sagt, auch sie denke selbstverständlich lösungsorientiert, sehe jedoch die Verfehlungen der Kirche in dieser Sache nicht. Sie sei vertragstreu. Es sei nach Meinung der Fraktion schwierig, der Kirche zu kündigen, obwohl sie sich an geltendes Recht halte.
    Jörg Pauly von der Linken hält eine flammende Rede für die Position der Eltern und kommt dabei auch auf den grünen Brief zu sprechen. Dass sowohl ihr Lebensgefährte als auch Bernadette Knecht selbst von der Kirche mit dem Schreiben als »außerhalb der Moral stehend« gebrandmarkt werden, das sei für ihn im Jahr 2012 undenkbar. Er habe sich in dunkelste Kapitel der Geschichte zurückversetzt gefühlt. Peer Jung nickt und verzichtet auf sein Rederecht.
    Nach den Einlassungen der Anwesenden erläutert der Vorsitzende kurz die Grundlagen: Alle Verträge, die die Stadt mit der Kirche geschlossen habe, hätten eine Kündigungsfrist von einem Jahr. Eine ordentliche Kündigung würde also bedeuten: noch ein Jahr mit der Kirche. Der Vertreter der Linken fordert daraufhin eine außerordentliche, fristlose Kündigung. Die Kommune, so schlägt er vor, solle ein eigenes Angebot schaffen, was es bisher so noch nicht gebe.
    »Ein außerordentliches Kündigungsrecht«, entgegnet der Vorsitzende, »ist vertraglich nicht vereinbart worden. Die Verwaltung sieht die Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechtes als nur schwer rechtlich begründbar und mit einem hohen Prozessrisiko behaftet.« Es wird offen abgestimmt: Die Mehrheit der Stimmberechtigten im Saal ist gegen die außerordentliche Kündigung. Über die ordentliche Kündigung stimmen die Ausschussmitglieder im Anschluss geheim ab. Direkt vor Ort wird ausgezählt. Die Eltern sind nicht mehr ansprechbar. Ulrike Keller sitzt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in der letzten Reihe und wippt mit den Füßen. Dann wird das Ergebnis laut verlesen. Vierzehn stimmberechtigte Mitglieder sind heute im Jugendhilfeausschuss anwesend. »Sieben Jastimmen«, gibt der Vorsitzende bekannt. Im Saal wird es lauter. Jetzt kommt es drauf an. »Vier Neinstimmen und drei Enthaltungen!« Jemand juchzt laut auf. Die Eltern applaudieren. »Knapp, aber geschafft«, freut sich Alice Ernst. Direkt neben ihr fallen zwei Mütter einander in die Arme. »Es ist gut, dass es erst einmal so gekommen ist. Natürlich hätten wir uns ein eindeutigeres Ergebnis gewünscht, aber das ist schon in Ordnung.« – »Diese Kündigung ist nur ein erster Schritt«, sagt Peer Jung. »Denn Frau Knecht ist damit nicht geholfen. Was macht sie denn bis Sommer 2013?« Jetzt müsse die Politik auf die Kirche einwirken, dass sie von sich aus früher gehe.
    Eins steht an diesem Tag aber sicher fest: Die Stadtverwaltung hat beschlossen, den Vertrag mit der Kirche aufzulösen. Und das nicht, weil die Kirchenvorstände Frau Knecht entlassen haben, sondern weil das Verhältnis der Kunden, der Eltern, zur Kirche »unwiederbringlich zerrüttet« sei.
    Damit ist das passiert, was in der Kirche bislang niemand für möglich gehalten hatte. »Stadt wirft Kirche raus«, wird in den Tagen danach bundesweit in den Zeitungen stehen. »Der

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