Gott ist tot
Riesen in die Hand, und ihr könnt ihn noch am selben Nachmittag auf der Bank einlösen. Na? Wollt ihr euch das mal eine Minute durch den Kopf gehen lassen?«
Der Colonel, lächelnd, verschränkte die Arme und betrachtete die Klasse.
»Und, denkt ihr an alles, was ihr mit diesem Geld kaufen könntet?«
»Ja, Sir!«
»Gut. Lasst euch ruhig Zeit. Es gibt verdammt viel, was ein Mann braucht.«
Arnold, fassungslos über die Show, die der Colonel abzog, sah zu, wie der rote Minutenzeiger der Wanduhr hinter Mr. Oswalts Pult langsam das Zifferblatt umrundete.
»Also dann«, sagte der Colonel munter und klatschte in die Hände. »Das war’s, Jungs. Noch mehr Sprüche muss ich nicht klopfen, weil dieser Deal keine Werbung braucht. Wo das hiesige Rekrutierungszentrum ist, wisst ihr ja selber. Ruhetag: keiner. Danke für eure Geduld mit mir altem Sack.«
Die Jungen sahen zu Mr. Oswalt, der nickte, und sie erhoben sich und trotteten zur Tür. Der Colonel stand vorne am Lehrerpult, lachend und schulterklopfend, aber als Arnold sich an ihm vorbeizuschieben versuchte, legte er ihm die Hand auf den Oberarm und drückte mit verblüffender Kraft zu.
»Mein Junge«, sagte er, »mir ist aufgefallen, dass Sie nicht mit den anderen Laut gegeben haben.«
»Nein.«
»Nein, Sir .«
»Nein, Sir.«
»Hat Ihnen an meiner Rede was nicht gepasst?«
»Nein, Sir, das ist es nicht. Ich …«
»Ich hab schon so eine Ahnung, was Ihnen aufstößt«, sagte der Colonel. »Sie sind ein aufgeweckter Junge. Diese Nummer mit dem Geld und dem Schießen zieht bei Ihnen nicht. Aber Sie sind genau die Art junger Mann, die ich zu erreichen
versuche. Ich würde alle Jungs in dieser Klasse sofort gegen einen wie Sie eintauschen. Und soll ich Ihnen sagen, warum?«
»Warum, Sir?«
»Weil Sie wissen, wofür wir hier kämpfen, und weil Sie mit dem Herzen dabei sind«, sagte der Colonel. »Genau wie ich. Was Sie jetzt grade miterlebt haben, das war nur der übliche Werbeschnickschnack. Einfach eine Verkaufsmasche. Da ist mir unwohl dabei. War es schon immer. Aber wir brauchen nun mal frisches Blut an der Front, mehr als jemals zuvor. Und das ist der Weg dahin. Verstehen Sie?«
»Ich glaube schon, Sir.«
»Aber noch dringender brauchen wir Männer wie Sie, mein Junge.«
»Wie ich, Sir?«
»Männer mit Überzeugung«, sagte der Colonel. »Männer mit einem Kopf auf den Schultern. Anführer für die, die nur auf Moneten und Rumballern aus sind.«
Der Colonel öffnete den obersten Knopf seiner Jacke, langte hinein und brachte eine Visitenkarte zum Vorschein. »Hier, nehmen Sie«, sagte er. »Denken Sie drüber nach und rufen Sie mich an. Und dann reden wir.«
»Sir, ich glaube nicht, dass …«
»Nehmen Sie die Karte, mein Junge. In ein paar Tagen sind Sie vielleicht schon froh, dass Sie sie haben.«
Selia und Arnold hatten seit dem Streit nur das Nötigste miteinander gesprochen, aber am Dienstag hielt sie ihn an, als er zur Schule aufbrach, und streckte ihm eine Tüte mit geräuchertem Atlantiklachs, Brie, Weizencrackern und selbstgebackenen Keksen hin. Arnold kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, dass das weniger ein Friedensangebot oder
eine Entschuldigung darstellte als den Versuch, die Diskussion in gemäßigterem Ton weiterzuführen.
»Danke«, sagte er und nahm die Tüte.
»Hör mal«, sagte sie, »wollen wir zwei unser Abendessen heute vielleicht mit hoch zum Felsenbecken nehmen?«
»In Ordnung«, sagte er. »Was ist mit Dad?«
»Dad ist ein großer Junge. Der kommt schon allein klar.«
Das Felsenbecken war eine große schüsselförmige Granitformation am Nordrand der Insel, die sich bei Flut mit Meerwasser und kleinen Fischen füllte. Als die Sonne in Richtung Festland davonwanderte, suchten sich Arnold und Selia ihren Weg zwischen den Küstenfelsen hindurch. Irisierende Muschelsplitter knackten und knirschten unter ihren Füßen, und ihre Schatten, lange Vorabendschatten, fielen über schreckhafte Jonahkrabben und Klumpen von Seetang, die sich schimmernd im unruhigen Wasser wiegten. Auf einer flachen Granitplatte oberhalb des Beckens breiteten sie eine Decke aus und packten ihr Essen aus dem Korb, den Selia überm Arm trug.
Arnold wusste, dass seine Mutter sich aussprechen wollte, aber er ermöglichte ihr keinen Einstieg - gab knappe Ein-Wort-Antworten auf ihre Fragen nach der Schule und starrte über Minuten hinweg zum Horizont, wo die Trennlinie zwischen Himmel und Meer zusammen mit dem Tageslicht verblasste. Als sie
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