Gott ist tot
und seine Geschichte auch von künftigen Generationen nicht vergessen werden mögen.«
Die Versammelten spendeten frenetisch Beifall. Fahnen wurden geschwenkt. Ein kleiner Junge von vielleicht zwei Jahren fing zu heulen an, lautlos, seine Stimme übertönt von dem Radau.
Mit erhobenen Händen sorgte der Bürgermeister für Ruhe. »Danke. Danke. Bitte. Der Colonel möchte noch ein paar Worte hinzufügen. Meine Damen und Herren, Colonel Gene Redmond.«
Neuerlicher Beifall brandete auf, als der Mann in Uniform
ans Rednerpult trat und sich mit der Hand über das graumelierte Stoppelhaar fuhr. »Wer will da schon mithalten?«, sagte er und lächelte über die Schulter dem Bürgermeister zu, der sich hingesetzt hatte. »Also versuche ich es gar nicht erst. Ich möchte nur kurz etwas bekanntgeben: Offensichtlich hat hier jemand begriffen, was zu tun ist, wenn es heißt, die Armee braucht jeden wehrtauglichen jungen Mann, den sie kriegen kann. Unser junger Freund Michael Raboteau hier hat beschlossen, sein letztes Schuljahr zu streichen und stattdessen zu den Marines zu gehen. Seine Eltern haben ihm dazu ihren Segen gegeben, trotz des Verlusts, den sie erlitten haben. Gut, sie hätten auch wenig dagegen machen können, aber das ist ja auch nicht der Punkt. Solche Menschen sind die wahren Stützen unserer Gemeinschaft, Leute. Solche Menschen sollten nicht über die Straße gehen können, ohne dass ihr sie anhaltet und ihnen auf Knien dankt. Solchen Leuten solltet ihr kostenlos das Öl wechseln und ihnen gebührenfreies Satellitenfernsehen anbieten. Ihr solltet an ihrer Haustür klingeln, um für sie die Einkäufe zu erledigen oder den Hund auszuführen. Oder ihr folgt einfach ihrem Beispiel und bringt eure eigenen Opfer. Vielen Dank.«
Erneuter Applaus seitens der Menge, etwas gedämpfter jetzt, aber immer noch machtvoll und anhaltend. Arnolds anfängliche Bestürzung über die Mitteilung des Colonels wich langsam, aber sicher einem tiefen, brennenden Neid. Er klatschte geistesabwesend mit den anderen mit, auf die Zehenspitzen gereckt, um einen Blick auf Mike Raboteau zu erhaschen. Aber das Rednerpult raubte ihm die Sicht, und alles, was er sehen konnte, war Mikes Hand, die, umschlossen von der größeren Hand des Colonels, auf und nieder geschüttelt wurde in einem langen, warmen Händedruck.
EVOP-FLOTTE BESCHIEßT HAWAIISCHE VERTEIDIGUNGSSTELLUNGEN
Invasion »unmittelbar bevorstehend«
An Bord der 3. Marine-Expeditionsbrigade der Postmodernen Anthropologen, Kauai (AP) - EvoP-Schiffe haben am Sonntag in den frühen Morgenstunden mit der Beschießung von PoMo-Stellungen begonnen. Nach Einschätzung der Marines wurden 30 Prozent der Verteidigungseinrichtungen in unmittelbarer Küstennähe, darunter Betonbunker, Flugabwehrbatterien und Artilleriegeschützstände, zerstört oder unbrauchbar gemacht. Bei Tagesanbruch wurde zudem ersichtlich, dass Panzersperren und Infanteriehindernisse im Strandbereich von EvoP-Kommandoeinheiten mit Sprengsätzen beseitigt worden waren.
Als er am Montag in Mr. Oswalts Klassenzimmer kam, roch Arnold Colonel Redmond, bevor er ihn sah. Trotz des offenen Fensters hing eine unverkennbar maskuline Note in der Luft, wie von Autopolitur vermischt mit Zigarrenrauch. Der Colonel saß auf einem Hocker in der Ecke, fast hinter der Tür; Arnold ging zu seiner Bank hinten an der Wand (vorbei an dem auffällig leeren Pult von Mike Raboteau), ohne den Geruch zuordnen zu können, und bemerkte den Colonel erst, als er sich umdrehte, um sich hinzusetzen.
»Meine Herren«, sagte Mr. Oswalt, als alle Platz genommen hatten, »ich habe eine gute Nachricht für diejenigen unter Ihnen, die dieses Wochenende ihre Lektüre vernachlässigt haben - Sie haben noch einen Tag länger dafür. Sie werden sich an Colonel Redmond erinnern, den viele von Ihnen gestern bei der Parade gesehen haben - außer natürlich
die Herren Davis und McCutcheon, mit denen ich nachher noch ein Wörtchen zu reden habe. Der Colonel hat darum gebeten, zu Ihnen sprechen zu dürfen, und ich habe mich bereit erklärt, ihm die heutige Stunde abzutreten, damit er Ihnen etwas über den Bedarf der Armee an neuen Rekruten erzählen kann und natürlich auch über unser aller moralische Pflicht zur Verteidigung der Postmodernen Anthropologie. Colonel?«
»Na, ganz so würde ich’s nicht ausdrücken«, sagte der Colonel, wobei er von seinem Hocker aufstand und sich die Uniformjacke glattstrich. Er grinste und ließ dabei Zähne sehen, die zu
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