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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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Ausdruck auf ihrem Gesicht keinen Zweifel mehr: Es ist Angst.
     
    Am nächsten Tag melde ich mich krank. Bald bereue ich es, denn das Telefon klingelt in einer Tour. Reporter. Hunderte von Reportern aus dem ganzen Land, manche sogar aus dem Ausland: England, Italien. Sie wollen Dinge über meinen
Bruder wissen. Ich hatte gedacht, ich wäre zu erschlagen, um über irgendetwas verblüfft oder schockiert zu sein, aber bei manchen Fragen spüre ich ein Brennen in meiner Brust, und auf meiner Stirn bilden sich juckende Schweißperlen.
    Was hatte Ihr Bruder gegen die Betreuer in High Hopes?, fragen sie mich.
    Nichts, sage ich.
    Uns wurde gesagt, dass Ihr Bruder dort ambulant behandelt wurde, sagen sie. Warum dann diese plötzliche Aggression?
    Ich weiß es nicht, sage ich. Er ist nicht ganz richtig im Kopf. Er war es noch nie.
    Hat es irgendeine tiefere Bedeutung, fragen sie, dass er als Mordwaffe eine Marienfigur benutzt hat?
    Jähe Wut kocht in mir hoch, und am liebsten würde ich sagen, wohl kaum. Es wird das Erstbeste gewesen sein, was er in die Finger gekriegt hat, aber ich weiß, das wäre unwahr, und obwohl Melissa einen großen Bogen um mich macht und obwohl ich von den Nachbarn und auch bei Joseph’s Deli heute Morgen, wo ich den Orangensaft gekauft habe, für den gestern Abend keine Zeit mehr war, verdeckte Blicke und geflüsterte Kommentare geerntet habe, sage ich mit sehr ruhiger Stimme: Wie um alles in der Welt soll ich das wissen?
    Und dann lege ich ganz, ganz behutsam den Hörer auf. Aber kaum liegt er, klingelt das Telefon schon wieder.
    Durch das Klingeln hindurch höre ich Melissa im Bad das Wasser aufdrehen. Das ist das dritte Mal, dass sie heute duscht.
     
    Meine Eltern waren seit den Morden nicht mehr außer Haus. Zwei Wochen werden es jetzt. Mein Vater hat sich kein einziges
Mal draußen blicken lassen, meine Mutter dagegen war zunächst entschlossen, sich nicht mitverurteilen zu lassen; wortlos ging sie an der Meute von Reportern und Kameraleuten vorbei, die vor dem Haus ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie ging zum Einkaufen und zur Bank und zu ihrem donnerstäglichen Cribbage-Abend.
    Aber die Leute fingen an, sich Dinge zuzutuscheln, und ziemlich bald fanden diese Dinge den Weg in die Zeitungen. Die überregionalen Medien hatten ihre Zelte inzwischen abgebrochen, aber in der Lokalpresse waren die Morde nach wie vor das große Thema, und die erste Seite war gespickt mit Gerüchten und Bezichtigungen - von Theismus war die Rede, von Gottesanbetung hinter verschlossenen Türen, von Christentum . Das war etwas, womit meine Mutter nicht klarkam. Seitdem geht auch sie nicht mehr ins Freie, und ihre Einkäufe und sonstigen Erledigungen besorge ich.
    Heute habe ich den Kabelanschluss meiner Eltern und ihr Zeitungsabonnement gekündigt. Meine Mutter wollte es so. Aus den Blicken, die mir die Menschen auf der Straße und in Geschäften nachwerfen, spricht mittlerweile weniger blanke Neugier als Mitleid. Der arme Junge, sagen sie zueinander. In so einem Haus aufwachsen zu müssen. Allein die Vorstellung …
    Mike, mit dem ich schon seit der Grundschule befreundet bin, besucht mich eines Abends mit einer Fleischpastete, die ihm seine Frau für mich mitgegeben hat.
    Mike, sage ich. Warum verbreiten diese Leute Lügengeschichten über meine Eltern?
    Frag mich was Leichteres, sagt er kopfschüttelnd. Sie versuchen sich irgendwie einen Reim drauf zu machen, weißt du? Eine Erklärung dafür zu finden. Sie können einfach nicht glauben, dass dein Bruder so … Sie verstehen nicht, wie er etwas
tun konnte, das so … na ja, du weißt schon. Es sei denn, er hat selber eine schlimme Erfahrung gemacht.
    Das ist auch so etwas, das mir auffällt - die wenigen Menschen, mit denen ich rede, wählen ihre Worte mit großem Bedacht aus, als hätten sie Angst, das Falsche zu mir zu sagen. Sie scheinen nicht zu begreifen, dass es nichts Richtiges gibt, das man zu mir sagen kann.
    Ich wünschte, Mike hätte nicht auch noch damit angefangen. Wir sind schon so lange Freunde, er kann zu mir sagen, was immer ihm in den Sinn kommt. Aber er traut sich nicht.
    Mike, sage ich. Du weißt doch, wie mein Bruder ist. Wie er immer war.
    Schon, sagt Mike, und er schüttelt wieder den Kopf. Aber - ich meine, warum? Wie kommt er darauf, dass es einen Gott gibt? Das muss er schließlich irgendwo herhaben, oder?
    Ich nehme die Pastete und stelle sie auf die Anrichte in der Küche und danke Mike. Ich bitte ihn, auch seiner Frau von mir zu

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