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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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mächtigen, mit höchster Effizienz arbeitenden Apparat zu wissen. Es gab einem Mann das Gefühl, als säße er in der Business class eines Airliners bei süßen Geigenklängen, die, gefiltert durch Lautsprecher, selbst die Gefahr zum Bestandteil eines Wiegenliedes für Erwachsene verwandelten. Die Organisation raste auf Hochtouren dahin, auf ihrer vorausberechneten Bahn. Die Temperatur war kühl und steril.
    Das Denken entschlummerte in einem keimfreien Kokon unauffällig guten Geschmacks, die nervenberuhigenden Farben, ausgewählt von Experten obskurer, aber unentbehrlicher Wissenschaften zur Entspannung der Passagiere. Der letzte der Generäle hatte die Tür geschlossen. Der Präsident war allein. Plötzlich allein mit seinen Drucken von Currier und Ives, die Szenen aus der frühamerikanischen Geschichte darstellten, zottige Pioniergestalten, die über die ganze Länge der grünen Bürowände galoppierten. Kein Sonnenstrahl verirrte sich durch die Jalousien. In diesem Raum war immer Nacht, nichts unterbrach das Schweigen, abgesehen von dem gelegentlichen Rülpsen des Trinkwasserspenders oder einem elektronischen Stimmbruch der Klimaanlage.
    Der Präsident blickte auf seine Armbanduhr, und in sein faltiges Gesicht trat ein fremder, fiebriger Ausdruck, den bislang die wenigsten an ihm kennengelernt hatten. So mochte Dr. Jekyll ausgesehen haben, als er die ersten Regungen Mr. Hydes in sich spürte. Es war ein Blick von unwiderstehlicher Lasterhaftigkeit, von brennendem Verlangen, ein Ausdruck von unversöhnter, nach Befreiung dürstender Gewalt. Wie ein Irrer sprang der Präsident zur Tür und verriegelte sie. Dann huschte er zu der anderen Tür, die sein Büro mit den Räumen des Sekretariats verband, und versperrte auch sie. Einen Moment blieb er stehen und überblickte sein Zimmer, keuchend, die Augen weit aufgerissen. Dann glitt er leise über den weichen Teppichfilz und fiel vor dem Papierkorb auf die Knie. Hektisch wühlte er in den Briefumschlägen, die sich im Lauf des Tages dort gesammelt hatten. Anscheinend fand er nicht, was er suchte. Er fluchte kräftig, und zum ersten Mal trat eine gewisse Trauer in seine Augen. Wie ein enttäuschtes Kind blickte er ziellos in die Runde, offenbar ohne Kraft, sich von den Knien zu erheben. Dann machte sich eine Verschmitztheit auf seinen Zügen breit. Er stand auf, glitt schnell zur Tür, die zum Sekretariat führte, und schloß sie geräuschlos auf.
    Die Büros waren leer. Die sicherheitsüberprüften Putzfrauen waren noch nicht gekommen. Die Luft war rein. Mit den Gebärden eines Fernsehdetektivs schlich sich der Präsident an die Papierkörbe heran. Er mußte sich beeilen, denn es gab immer einen Wachmann, der seine Runden drehte. Und den Stab. Und seine Familie.
    Hurtig wie ein Kassenbeamter ließ der Präsident die Briefumschläge durch seine Finger gleiten. Manchmal zögerte er, wenn ihm etwas ins Auge stach, und mit flatternden Händen stopfte er die begehrten Papierschnitzel in die Tasche. Bevor er den letzten Papierkorb erreicht hatte, tauchte der Wachmann auf. Sofort fühlte der Präsident sich schuldig, wie ein ertapptes Kind.
    »Mister President«, sagte der Wachmann mit einem milden Vorwurf in der Stimme.
    »Ich wollte nur. Ich fragte mich gerade, ob Miss Grininger noch hier ist.«
    »Miss Grininger ist heute früher gegangen. Ihrer alten Mutter geht es noch immer nicht besser.«
    »Tatsächlich?« fragte der Präsident mit echter Besorgnis in der Stimme. »Wie schade. Das tut mir leid.«
    »Ja. Eine reizende Person, unsere Miss Grininger.«
    »Weiß nicht, was wir ohne sie täten, George.« George hieß eigentlich Elbert, aber er war auch gerne George, wenn sein Präsident es so wollte.
    »Ziemlich harter Tag, heute, Mister President. Diese bekloppten Kommies lassen unsereins nicht zur Ruhe kommen«, stellte der Wachmann fest.
    »Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen, George.« Der Präsident wollte sich abwenden, aber der Wachmann war gesprächig geworden.
    »Ich kann es den Herren stets vom Gesicht ablesen, wissen Sie, wenn sie hier rauskommen. Dieser Mr. O’Hehir läßt sich nichts anmerken, und Mr. Crust, nun, der blickt immer übellaunig drein. Nicht, daß er’s wäre – es ist nur die Art, wie er blickt, wissen Sie. Aber General Scheidemeyer, der kann nichts verheimlichen.«
    »Ah, tatsächlich?«
    »Allerdings, Sir, Ich hatte die Ehre, unter General Scheidemeyer zu dienen. Damals war er noch Colonel Scheidemeyer. In der 614. Spezialkampfeinheit,

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