Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Ferne. Plageot wüßte sich nicht zu helfen, ihm gefiel der Bursche. Er hatte Substanz. »Erinnern Sie mich an ein paar andere Namen, die ich verwendet habe«, sagte er plötzlich.
Plageot tat ihm den Gefallen: »Vladimir Ilikov, Rene Saboureau, Wolfgang Tichy, Antal Solomon, Comte Napoleon de Souci.«
Bei der Erwähnung des letzten Namens brach er in herzliches Lachen aus, das alsbald in schmerzhaftes Keuchen überging. Endlich ließ der Anfall nach, und er blickte Plageot an, erschöpft, aber milde belustigt.
»Am schlechtesten war ich immer, wenn ich aristokratisch sein wollte«, keuchte er. »Ich konnte mir nicht mal einen Namen ausdenken. Napoleon de Souci. Welch ein blödsinniger Einfall. Die Organisation hatte mir befohlen, das Königshaus Sachsen-Anhalt zu infiltrieren, um die Ermordung eines seiner Mitglieder vorzubereiten. Wir steckten uns niedrige Ziele damals. Man durchschaute mich natürlich sofort. Kaum hatte ich meine Visitenkarte gezückt, wurde ich auch schon geschnappt und außer Landes geschafft. Ich sah einfach nicht aus wie ein Comte Napoleon de Souci, verstehen Sie? Nebenbei, ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Comte Napoleon de Souci aussehen sollte.« Er wurde wieder ernst.
»Nein, am besten, am gefährlichsten war ich als ein Mann des Volkes.«
»Gefährlich?« fragte Plageot. »Und doch, wenn ich Ihre Akte durchblättere, finde ich keinen Anhaltspunkt für auch nur ein einziges Verbrechen. Bestimmt keinen Mord. Immer wurden Sie nur auf Verdacht verhaftet.«
»Ich hatte nie Glück in Frankreich«, sagte Zvoinitch und seufzte.
»Warum sind Sie dann hiergeblieben? Sie haben hier offenbar keine Familienbindung, gewiß keine Blutsbande.«
»Ich liebe Frankreich«, murmelte Zvoinitch. »Solange Sie mich nicht hinauswerfen, werde ich niemals gehen.«
Gegen seinen Willen war Plageot gerührt. Er schloß die Akte und zündete sich eine Gauloise an. »Sehr schön«, sagte er. »Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich kann keine Entscheidung treffen, solange mir das Problem nicht klar ist. Ich habe diese Abteilung gestern übernommen, und Sie haben mir durch Andeutungen dauernd zu verstehen gegeben, daß ich noch nicht Bescheid weiß. Das ist mir ebenso bewußt wie Ihnen. Aber versetzen Sie sich für einen Moment in meine Lage. Ein Mann von vierundachtzig Jahren betritt mein Büro – «
»Fünfundachtzig.«
»Fünfundachtzig. Verzeihen Sie. Es liegt mir fern, Ihr Leben verkürzen zu wollen. Sie betreten mein Büro, gestützt auf zwei Stöcke, und erklären, daß Sie ein gewalttätiger, berüchtigter Attentäter sind. Weil ich von Natur aus höflich bin, bitte ich Sie, Platz zu nehmen. Sie tun es mit sichtlicher Erleichterung, nachdem Sie sich vier Stockwerke heraufgequält haben, dann ziehen Sie den >Aurore< von heute morgen hervor, in dem die Ankunft des Imam von Hidschas angekündigt wird, der die Beziehungen zwischen seinem Volk und den Franzosen verbessern möchte. Ich frage Sie, was diese Tatsache mit Ihrem Besuch zu tun hat. Sie zeigen sich überrascht und sagen mir, daß mein Vorgänger, Monsieur Latille, dies verstanden haben würde. Als ich nachfrage, erklären Sie mir, daß das Leben des Imam in Gefahr sei. Ich werde neugierig und frage Sie, ob Sie irgendwelche Informationen haben, die Sie zu dieser Überzeugung führen. Sie lächeln mitleidig und sagen mir, Sie könnten in Versuchung geraten, ihn umzubringen, falls ich Sie nicht für eine Woche nach Korsika deportiere. Mein lieber Freund. Wissen Sie denn, wo Hidschas liegt?«
»Es spielt keine Rolle, wo es liegt«, antwortete der Alte. »Ich bin gegen alle Autokraten, und die Menschen dieses unglücklichen Landes, wo immer es liegen mag, verdienen es, befreit zu werden. Kein Despot ist sicher, solang ich lebe.«
»Sagen Sie mir«, fragte Plageot, »was hätte mein Vorgänger, Monsieur Latille, getan?«
»Mit ihm gab es keine Diskussionen«, erwiderte Zvoinitch. »Er kannte die Gefahr, die wir für Gäste der Republik darstellen. Er hätte die Vollmacht sofort unterschrieben, und wir säßen noch heute abend im Flugzeug.«
»Heute abend?« Plageot war aufrichtig überrascht. »Aber der Imam trifft doch erst übermorgen ein.«
»Monsieur Latille war nicht bereit, Risiken einzugehen, wo verwegene Männer im Spiel sind.«
»Ich verstehe. Mit >wir< meinen Sie vermutlich sich selbst und ihre fünf Kollegen.«
»Ja.«
»Und wo sind Ihre fünf Freunde?«
»Sie haben alle gepackt und sind reisefertig.«
»Wieso das?«
»Als wir
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