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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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aus der Morgenzeitung vom Besuch des Imam erfuhren, hielten wir eine Versammlung ab, und ich wurde als Delegierter entsandt, um unsere Gruppe zu repräsentieren.«
    Plageot holte einen Bleistift aus der Tasche. »Wären Sie so freundlich, mir die Namen Ihrer Freunde zu nennen?«
    »Ist das nötig? Monsieur Latille – «
    »Monsieur Latille ist nicht mehr da«, sagte Plageot scharf. »Also gut. Asen Popoff, von der Nihilistischen Internationale Bulgariens. Yahuda Achron, von der Jüdischen Sektion. Professor Semyon Gurko, von der Separatistisch-Nihilistischen Liga der Ukraine. Lazar Parlescu, vom Nihilistischen Zentrum des Banat. Und Madame Perlescu, in Nihilistenkreisen besser bekannt als Rosa Liechtenstein.«
    »Nun gut«, sagte Plageot. »Heute kann ich Ihnen noch keine Antwort geben.«
    Zvoinitch machte keinen Versuch, seinen Ärger zu verbergen. »Morgen kann es zu spät sein.«
    »Dieses Risiko müssen wir eingehen.«
    Mühsam erhob sich Zvoinitch. Anscheinend glaubte er, in seiner vollen Länge von ein Meter sechzig noch beeindruckender zu wirken. »Sie sind jung«, erklärte er geheimnisvoll. »Wer in jungen Jahren die Verantwortung für eine staatliche Behörde trägt, muß als vielversprechend gelten. Durch Ihre Kurzsichtigkeit könnte Ihre Karriere zerstört werden.«
    »Wissen Sie, was ich glaube?« antwortete Plageot. »Ich glaube, Sie sollten einen Arzt aufsuchen.«
    »Ja wirklich? Binnen kurzem könnten Sie selbst in die Lage kommen, einen Arzt zu brauchen.«
    »Drohen Sie mir jetzt?«
    »Ich drohe jedem, der mir im Wege steht.« Er klemmte sein schäbiges Köfferchen unter den Arm, nahm in jede Hand einen Stock und humpelte zur Tür. »Es könnte Sie interessieren«, flüsterte Zvoinitch, »daß der Imam von Hidschas am Mittwoch morgen, um sieben Uhr achtundvierzig, mit Flug 178 der Air France aus Bagdad eintrifft. Er steigt im Hotel Raphael ab. Am Sonntag reist er mit dem Train Bleu nach Marseille weiter. Bewachen Sie ihn gut.«
    Fort war er. Irritiert drückte Plageot seine Zigarette aus. Er klingelte nach Mademoiselle Pelbec, seiner Assistentin. Einen Moment später trat sie ein. Sie war eine jener treuen Beamtinnen, die durch französische Ministerien geistern, mit Schriftstücken hin und her wandernd und andauernd irgend etwas abstempelnd. Eine offene Schere hing an einer Kette von ihrem Gürtel herab. Ihre Bluse war hausgeschneidert und saß so schlecht, daß ein Straps ihres Büstenhalters ständig sichtbar blieb. Er wurde mit dem Straps ihres Unterrocks durch eine riesige Sicherheitsnadel zusammengehalten. Ihr Haar war von mattem Rot, ihr Mund zuckte unaufhörlich, und sie hatte keine Augenbrauen.
    »Sie haben geklingelt«, erklärte sie, und es klang wie ein Vorwurf.
    Sie hatte acht Jahre mit Monsieur Latille zusammengearbeitet und nahm seine Pensionierung übel.
    »Mademoiselle Pelbec«, sagte Plageot, »was wissen Sie über einen Mann namens Zvoinitch, der sich als Nihilist bezeichnet?«
    Mademoiselle Pelbec wurde wachsam und schien ihre Worte mit einigem Bedacht zu wählen.
    »Nun, ich weiß, Monsieur Latille hielt ihn für einen ziemlich gefährlichen Charakter«, antwortete sie. »Wenn er so gefährlich ist, wieso wurde er nicht deportiert?«
    »Oh, liebe Güte, nein«, platzte Mademoiselle Pelbec heraus, dann fand sie ihre Fassung wieder. »Monsieur Latille hielt ihn zwar für gefährlich, aber er hielt ihn nicht für so gefährlich wie er sich selbst, falls Sie mir folgen können.«
    »Offen gestanden, nein. Nach der ersten Begegnung halte ich ihn für einen harmlosen Spinner.«
    »Sie meinen, Sie schicken ihn nicht nach Korsika?« fragte Mademoiselle Pelbec entsetzt. »Warum sollte ich?«
    »Nun, er meldet sich nie ohne guten Grund. Das Verhältnis zwischen ihm und Monsieur Latille war ganz bemerkenswert. Solange ich mich erinnere, mußte Monsieur Latille diese Leute niemals holen lassen. Sie meldeten sich von selbst, sobald sie in der Zeitung lasen, daß jemand Wichtiges nach Paris kam. Es war ein ungewöhnlicher Fall von Zusammenarbeit zwischen dem potentiellen Verbrecher und dem potentiellen Strafverfolger. Wären alle Verbrecher so sozial gesinnt wie diese sechs, dann gäbe es keine Verbrechen mehr.«
    »Genau«, sagte Plageot trocken. »Ich glaube, sie sind völlig harmlos.«
    »Ist denn irgendeiner von uns völlig harmlos?« fragte Mademoiselle Pelbec. »Sie haben niemals jemanden in Frankreich umgebracht, das ist wahr. Aber in Makedonien ist ihr Strafregister

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