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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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gelacht.
    Genau dies hatte er getan, und der Nachtportier hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, gefragt: »Zimmer vierundzwanzig, wie üblich, Sir?«
    Damals hätte sie es wissen müssen, aber es war ihr egal. Sie war berauscht von Champagner und Nachtluft, und sie hatte Verrücktheit im Sinn. Auf dem Zimmer hatte er versucht, sie auszuziehen, doch ihre gute Erziehung war in plötzlicher Aufwallung zu ihr zurückgekehrt, wie eine Ermahnung aus fernen Kindertagen. Sie hatte sich gesträubt, und er hatte sich eine Zigarette angezündet, eine türkische, speziell für seinen Vater hergestellt von einer alten Handwerksfirma in der Stadt. Ein amüsierter Ausdruck lag in seinen Augen, während er ihre Reaktion studierte, ein Ausdruck, der eine Herausforderung war und gleichzeitig eine Verheißung verbotener Wonnen. Sanft, aber unbarmherzig, begann er sie zu necken. War sie schon einmal im Ausland gewesen? Hatte sie schon mit vielen Männern geschlafen? War sie noch Jungfrau? Die Fragen plätscherten dahin wie in der Sprechstunde eines freundlichen Doktors. Die Peinlichkeit der Unwissenheit überwog auf einmal die Peinlichkeit der Nacktheit, und mit einer kontrollierten und automatischen Kälte, die sie zu anderer Zeit vielleicht in einem Hauswirtschaftskurs im Seminar an den Tag gelegt hätte, stieg sie aus ihrem Abendkleid, ließ ihren Unterrock auf den Boden fallen, knüpfte ihren Büstenhalter auf und hängte ihn über eine Stuhllehne.
    Er rührte sich nicht, denn er hatte noch eine halbe Zigarette aufzurauchen.
    Nach einem qualvollen Augenblick sagte er: »Du hast hübsche Brüste, weißt du das?«
    »Wirklich?«
    Verglichen zu werden gab ihr ein sonderbares Gefühl von Trost, von Vertrauen. Er zog tief an der Zigarette und verdarb ihr den Effekt, indem er den Rauchkringeln nachsah, die langsam zur Decke stiegen und sich dort auflösten. »Du erwartest doch nicht von mir, daß ich aufs Ganze gehe, nicht wahr?« sagte sie mit ihrem abgehackten Akzent, und klang damit obszönerweise angezogener denn je. Er zuckte mit den Schultern.
    »Ich wollte dir ja helfen, aber du wolltest mich nicht lassen«, antwortete er und setzte sich auf einen Stuhl – rittlings, als sei es ein Pferd.
    In einem Anfall von Wut (eine Wut, in die sie sich hineinsteigern mußte, anders hätte sie es nicht durchgehalten) zog sie sich Schuhe und Strümpfe aus und kämpfte sich aus ihrem Hüfthalter. Ihre Verrenkungen entlockten ihm ein gutmütiges Lachen.
    »Worüber lachst du?« fragte sie feindselig. »Die Frau ist das wunderbarste Wesen der Schöpfung, verdammt«, kicherte er, »aber um die Schicklichkeit zu wahren, zwängt sie sich in die lächerlichsten Kleidungsstücke, die ein perverses Hirn erfinden konnte. Du siehst aus wie ein seltsames afrikanisches Tier in der Brunftzeit.« Sie stand in ihrem Höschen und hielt ihren Hüfthalter in der Hand, der jetzt aussah wie ein monströses verschrumpeltes Leukoplastpflaster für eine Blase am Finger eines Riesen, und starrte ihren Verführer an, der noch immer mit weißer Krawatte und Frack dasaß und hinter einer blauen Tabakwolke hervorlachte; es war zuviel. Sie brach in Tränen aus. »Laß uns nach Hause fahren«, sagte er müde und schickte sich an aufzustehen. »Wo wohnst du?«
    Sie weinte bitterlich. Aber die Tränen kamen ihr nur mit Mühe, so daß sie die jämmerlichen Geräusche von jemandem hervorbrachte, der all sein Gefühl zurückzuhalten sucht. »Du bist hysterisch«, fügte er überflüssigerweise hinzu. »Oder du bist zu jung für dergleichen. Tut mir leid. Ich habe mich geirrt.«
    Ihr Zorn kehrte zurück. Sie schrie irgend etwas in dem Sinn, er habe ja noch nichts dergleichen getan. Sie kehrte ihm halb den Rücken zu und zog ihr Höschen aus, mit der Panik von jemandem, der zum ersten Mal einen Kopfsprung macht. »Prächtig«, sagte er.
    »Was ist prächtig?« schrie sie, noch immer von ihm abgewandt, und dann drehte sie sich nach ihm um und fuhr mit herrischer, heftiger Stimme fort: »Ist das alles, verflucht, was du sagen kannst – >prächtig    Während sie so dastand, wie Gott und Mrs. Symington-Stobart sie geschaffen hatten, ihr Körper geschüttelt von krampfhaftem Schluchzen, lächelte er, drückte wohlkalkuliert seine Zigarette aus und begann langsam, seine Krawatte zu lösen.
    Jetzt, da sie sich erinnerte, war sie wieder nackt, doch diesmal in einer völlig anderen Gemütslage.
    Du bist viel älter geworden, und ein bißchen weiser. vielleicht, sagte sie sich. Es wäre

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