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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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stotterte Plageot. »Hat er nichts zu bedeuten?«
    »Ganz und gar nicht. Er ist nur außen angelötet.«
    »Könnte darin nicht etwas enthalten gewesen sein, das sich im Wasser auflöste?«
    »Ausgeschlossen.«
    De Valde fing an zu lachen, erst leise, dann hysterisch.
    Plageots gereizte Frage: »Worüber lachen Sie, De Valde?« machte die Sache nur schlimmer.
    Kellerer fürchtete, das Gelächter könnte ansteckend sein, und ging klugerweise mit dem Beweisstück hinaus; ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
    »Um Gottes willen, De Valde, reißen Sie sich zusammen!« kreischte Plageot.
    »Welche Vorstellung. Sie brechen den Weltrekord über zweihundert Meter. um eine leere Schachtel zu entschärfen. indem Sie sie in der Herrentoilette ins Wasser tauchen. Oh, es ist zu gut, einfach zu gut!« schluchzte De Valde und hielt sich mit beiden Händen am Schreibtisch fest. »De Valde! Kehren Sie in Ihr Büro zurück!« Aber es war zu spät. Das Gelächter sprang wie ein Waldbrand auf die Attentäter über. De Valde entfernte sich nur mit Mühe. Plageot stand vor seinem Schreibtisch, Tränen des Zorns in den Augen.
    »Ruhe! Ruhe! Ich verlange Ruhe!« brüllte er wie ein Kind auf dem Gipfel eines Wutanfalls. »Ich werde Sie verhaften«, verkündete er, als der Tumult sich etwas beruhigt hatte. »Aus welchem Grund?« fragte Zvoinitch. »Ich – ich werde schon Gründe finden.«
    »Voraussichtlich werden wir vor Gericht gestellt, ganz gleich, welche Gründe Sie finden. Der Gerichtssaal wäre ein geeigneter Schauplatz, um diese Geschichten auszupacken, vielleicht sogar unsterblich zu machen.«
    »Wollen Sie mich erpressen?«
    »Ganz und gar nicht«, sagte Zvoinitch. »Erpressung dreht sich um ein finanzielles Geschäft. Falls wir vor den Richter treten müssen, werden wir schwören müssen, die Wahrheit zu sagen. Ich drohe nur an, genau das zu tun, was ich ohnehin unter Eid werde tun müssen.« Plageot blickte um sich wie ein Irrer.
    »In Ordnung«, sagte er. »Ich werde Sie verschicken, aber es wird die Sahara sein, oder der Tschad – Ubangi-Shari, dort, wo die Hitze unerträglich ist.«
    »Monsieur Plageot«, erwiderte Zvoinitch ruhig, »wir sind uns der Tatsache bewußt, daß es jedesmal, wenn wir aus Frankreich verschickt werden, auf Kosten der Allgemeinheit geschieht. Falls Sie sich an uns rächen wollen, indem Sie uns nach Äquatorialafrika schicken, werden nicht wir die Leidtragenden sein, sondern der arme Steuerzahler. Die Flugpassage ist wesentlich teurer. Es wäre mir eine unerträgliche Vorstellung, daß unser harmloser Spaß als Last für den kleinen Mann auf der Straße endet, nur weil Ihre Gefühle verletzt wurden.«
    Genau diese gefühlvolle Rücksicht, vorgetragen mit solch bekümmertem Edelmut, war zuviel für Plageot, der sich einfach hinsetzte und weinte.
    Nach einer Weile klingelte er nach Madame Pelbec. »Die Papiere, Mademoiselle«, sagte er matt, »für Korsika.«
    »Hier sind sie«, antwortete Mademoiselle Pelbec und legte sie ihm auf den Schreibtisch. »Sie hatten sie schon bereit?«
    »Oh, ja. Seit ich in der Zeitung las, daß der Imam kommen sollte.«
    »Ich datiere sie zurück auf gestern, vor die Ankunft des Imam, für die Akten«, sagte Plageot und überreichte ihnen die Dokumente.
    Die Situation war heikel. Die Attentäter nickten nur höflich und gingen hinaus. Sie geruhten nicht mal, ihren Dank abzustatten, aus Angst, einen weiteren Sturm zu entfesseln. Plageot saß allein, und seine Seele war eine Wüste. Aus dem Büro nebenan hörte er Gelächter, und er konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, als daß die Geschichte seiner Schande inzwischen die Runde durch den weitverzweigten Komplex von Gebäuden machte. Er wurde verbittert, und sein Mund spannte sich in einem energischen, melancholischen Bogen. Solche Erlebnisse sollten einen Mann läutern, seinen Starrsinn mildern. Mit einem letzten gequälten Schluchzen im Herzen blickte Plageot zum Himmel auf. Er wußte, er würde es weit bringen.
    »Mademoiselle Pelbec«, rief er mit militärischer Stimme, »bringen Sie mir die Deportationsakten neunzehn und einundzwanzig, sofort!«
    Nur im Märchen kommt es vor, daß eine läuternde Erfahrung anhaltende Veränderungen im Charakter eines Menschen bewirkt. Monsieur Plageot wurde allenfalls härter und scheußlicher. Er nutzte jede Gelegenheit, um De Valde und auch Kellerer anzuschwärzen, ohne die Gründe für seinen Haß wirklich zu untersuchen. Seine Beziehung zu Annik war kalt,

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