Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
Vom Netzwerk:
Wahl seines Zeitpunkts. Er stieß die Glastür in der Bühnenmitte auf und trat vor – mit den kleinen, energischen Schritten eines korpulenten Tenors, der sich seiner Berühmtheit und daher des Beifalls sicher ist. Sein Blick war kampflustig, unerbittlich. »Was gibt’s?« fragte der Schaffner.
    »Es ist Streik. Wußten Sie nichts davon?« fragte der Bahnhofsvorsteher kampflustig.
    »Sie wollen behaupten, Sie halten den Zug auf, um den Streikaufruf zu befolgen?«
    »Gewiß.«
    »Wie lange?«
    Der Bahnhofsvorsteher konsultierte eine alte, gußmetallene Uhr. »Noch achtzehn Stunden und sechsundvierzig Minuten.«
    Der Schaffner lächelte gewinnend. »In Florenz und Mailand haben sie uns durchgelassen.«
    »Das ist deren Fehler.«
    »Wollen Sie behaupten, daß wir bis hierher gekommen sind, nur damit Sie uns fünf Kilometer vor der Grenze aufhalten?«
    »Gewiß. Streikaufrufe werden erlassen, um befolgt zu werden.«
    »Nun, sehen Sie mal – «
    »Es gibt keine Debatten bei mir!« schrie der Bahnhofsvorsteher. »Keine Debatten!«
    Der Schaffner blickte zum Lokomotivführer hinauf. »Es wird mich die Stellung kosten, wenn ich ein Signal überfahre!« rief der Lokomotivführer.
    Der Bahnhofsvorsteher nickte mit grimmiger Befriedigung. »Auf jeden Fall habe ich die Weichen umgestellt, damit ihr, falls ihr so frech wärt weiterzufahren, auf dem Abstellgleis landen würdet.« Damit zeigte er auf zwei unter eine feuchte Felswand geschmiegte Puffer.
    Weitere Schaffner tauchten auf, ein Bahnpolizist, sogar der Oberkellner des Speisewagens, die sich durch den Zug gezwängt hatten.
    »Wie ist der Name dieses Bahnhofs?« fragte der Schaffner. »Mine di Trasquera«, antwortete der Bahnhofsvorsteher.
    »Steht nicht auf der Karte. Ist die Schuld des Staates, nicht meine.«
    »Aber wo liegt das Dorf?«
    »Es gibt kein Dorf. Nur eine Zementfabrik und eine Kapelle, um den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen.« Gesichter tauchten jetzt an allen Fenstern auf: die Nonne, eine ältere Nonne, die mit ihr reiste, sich aber frühzeitig zurückgezogen hatte, der Priester, der Amerikaner, die Herzogin, sogar der Hund – alle waren sie da, und noch viele mehr. »Figlio mio«, sagte der Priester.
    »Oh, Sie sind es.« Der Bahnhofsvorsteher erkannte ihn. »Warum machen Sie so abfällige Bemerkungen über etwas, das für so viele eine Quelle des Trostes ist?«
    »Sie kennen meinen Standpunkt, Don Gioacchino. Die Kirche ist ein Element des Rückschritts. Ihre Macht beruht auf der Unwissenheit, in der sie die arbeitenden Massen hält. Sie sagen, der Herr habe Seine Kirche auf Sankt Petrus gebaut. >Auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde.< Der Felsen heißt Aberglaube. Der Felsen heißt Dummheit. Der Felsen heißt Hexerei!«
    Beide Nonnen bekreuzigten sich.
    Der Priester lächelte. »Immer beweisen Sie in der Diskussion eine erstaunliche Kenntnis der Bibel.«
    »Der große Stalin wurde in einem Priesterseminar erzogen. Es gibt keine bessere Ausbildung für einen Führer des Volkes. Das gebe ich zu.«
    »Danke. Wenigstens geben Sie mir das Gefühl, daß wir nützliche Arbeit leisten«, antwortete der Priester ruhig. »Auf Ihren Sarkasmus kann ich verzichten, Don Gioacchino«, fauchte der Bahnhofsvorsteher.
    »Ich kann auf den Ihren verzichten – und doch höre ich ihn mir geduldig an. Nun, können wir ein Taxi nach Iselle di Trasquera bekommen?«
    »Sie können tun, was Sie wollen, aber Sie können nicht mein Telephon benutzen.«
    »Wir haben Mutter Maria bei uns. Es geht ihr schlecht. Wir waren eben in Rom, um einen Spezialisten aufzusuchen.«
    »Tut mir leid. Wir sind im Streik.«
    »Oh, machen Sie meinetwegen keine Zugeständnisse«, sagte die ältere Nonne barsch, unfähig, ihren Ärger zu verhehlen. Die Bahnbeamten versuchten, den Bahnhofsvorsteher umzustimmen, aber es war vergebens. Er gefiel sich zu sehr in der Rolle eines Politkommissars, um sich erweichen zu lassen.
    Während die Sache sich hinzog, wandte ich mich an Mr. Rosencrantz, der im Geiste wieder mal in Laos war. »Na, wie fühlt man sich, wenn man der Realität begegnet?« fragte ich ihn. »Kein Fellow-traveller, kein Mann, der vorgibt, ein zuverlässiger Staatsbürger zu sein, sondern ein bekennender, stolzer, unbußfertiger Kommunist.«
    »Ist er das? Ein Kommunist in einer Schlüsselposition, in einem Land, das durch Vertrag mit den Vereinigten Staaten verbündet ist?«
    »Durch ein Militärbündnis«, verbesserte ich. »Richtig. Um so schlimmer. Wie heißt dieser

Weitere Kostenlose Bücher