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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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auszuführen.«
    »Widersprechen Sie nicht«, sagte die Herzogin feindselig.
    »Wollen Sie damit sagen, daß wir schon eine Stunde Verspätung haben? Es ist ein Skandal! Ich fahre nur mit dem Zug, weil mein Hund Luftreisen gesundheitlich nicht verträgt.« Sie betrachtete das Hündchen mit einer – gemessen am Maßstab der griechischen Tragödie – besitzergreifenden Liebe: »Deine Öhrchen ertragen die Höhe nicht, ja?«
    »Signora Duchessa, lassen Sie doch den Hund auf dem Korridor umherlaufen. Falls er ein kleines Geschäftchen macht, werde ich es aufwischen.«
    »Wie, wenn jemand darauf tritt? Könnte die Eisenbahn mir den emotionalen Verlust ersetzen?«
    »Ich werde auf sie aufpassen. Es ist eine >Sie<, nicht wahr?«
    »Überzeugen Sie sich selbst.«
    »Kann ich nicht ohne meine Brille.«
    Die Herzogin lächelte grimmig und gab dem Hund ein paar letzte Belehrungen, bevor sie ihn dem Schaffner aushändigte. Das Hündchen schien weder auf sie zu hören, noch den zeitweiligen Besitzerwechsel zu beachten.
    »Wer ist diese alte Hexe?« fragte Mr. Rosencrantz, nachdem die Herzogin sich zurückgezogen hatte. »Sie ist keine Kommunistin, wie Sie vielleicht glauben«, antwortete ich. »Genau wie Sie kein Kommunist sind – was sie vielleicht glaubt.«
    »Glaubt sie, ich bin Kommunist?«
    »Sie glaubt zweifellos, daß die gesamten Vereinigten Staaten kommunistisch sind, und nach ihren Maßstäben hat sie recht. Die Bill of Rights ist ein schreckliches Stück freiheitlicher Rechtsprechung; der Süden hatte wohl recht; und es gibt kaum Unterschiede zwischen Washington und Lenin. Beide glaubten sie nicht an das Gottesgnadentum der Könige, und das genügt, um sie beide ins Lager des Aufstands gegen die bestehende Ordnung zu stecken.«
    »Das ist lächerlich«, sagte Mr. Rosencrantz hitzig.
    »Wieso – «
    »Ich spreche nur die vermutlichen Überzeugungen der Herzogin von Calapiccola aus«, unterbrach ich. »Hat keinen Zweck, mir zu sagen, daß sie lächerlich sind. Sagen Sie’s ihr.«
    »Ich spreche nicht Italienisch.«
    »Sie spricht zweifellos besser Englisch als wir beide. Sie muß ein Regiment von britischen Gouvernanten gehabt haben, als sie klein war.«
    Mr. Rosencrantz war so unglücklich, daß ich ihm entgegenzukommen suchte. »Wie fühlt man sich plötzlich als Linker, zusammen mit Benjamin Franklin, Admiral Radford und dem Erzbischof von Canterbury?«
    Der Schaffner versuchte, das Hündchen abzusetzen, aber das Schaukeln des Zuges war zuviel für seine Beinchen, und es schwankte hin und her wie ein winziger Trunkenbold. Noch schwieriger erwies es sich, es wieder aufzuheben. Die Nonne tauchte auf und bückte sich, mit einem Blick selbstverleugnender Sanftheit. Die Tatsache, daß der Hund es schaffte, sie zu beißen, während er an ihren flehenden Händen vorbeischlidderte, diente nur dazu, ihre Leidensmiene noch mehr zu versüßen.
    Der Priester hatte die ganze Zeit auf dem Korridor gestanden. »Das haben Sie gut gemacht«, sagte er zu dem Schaffner, »aber ich glaube ehrlich, diese armen Leute hätten mehr Lohn verdient, als sie bekommen.«
    »Ich bin einer dieser armen Leute«, sagte der Schaffner. »Erwarten Sie also nicht von mir, daß ich Ihnen widerspreche. Niemand bekommt jemals genug Lohn auf dieser Welt, mit Ausnahme derer, die zuviel bekommen.« Der Priester genoß diese Bemerkung und nickte traurig. Ich übersetzte das Gespräch für Mr. Rosencrantz, der die Stirn runzelte.
    »Glauben Sie, der Priester steckt mit in der Verschwörung?« flüsterte ich.
    »Es gibt ‘ne ganze Menge gutwilliger Idealisten, die Fellow-travellers sind, ohne es zu wissen«, vertraute er mir an. Dem Hund gelang es, sich des Fingerhuts voll Wasser zu entledigen, den er während des Tages getrunken hatte, und der Schaffner brachte ihn der Herzogin zurück, die eine so gute Erziehung hatte, daß sie darauf verzichten konnte, ihm zu danken. Vielmehr bestellte sie Kaffee, sehr heiß und sehr schwarz, pünktlich acht Uhr dreißig, zusammen mit einem halben Glas lauwarmen Wassers, merken Sie sich, lauwarm, 45 Grad, um damit eine Medizin einzunehmen; und sollte der Zug an einem Bahnhof halten, auch eine Morgenzeitung sowie ein Päckchen türkischer Zigaretten, und falls der Zug nicht an einem Bahnhof hielt, wünsche sie die Gründe dafür zu erfahren, und im übrigen habe sie Beziehungen. Der Schaffner lächelte, als sie gegangen war, und erklärte dem mißtrauischen Mr. Rosencrantz, daß die Herzogin von Calapiccola einer der

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