Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
kann er mit der absoluten Überzeugung, im Recht zu sein, vor eine Versammlung hintreten, nie wieder kann er die dogmatische Geste des sowjetischen Theoretikers einnehmen. Warum nicht? Weil er Italiener ist, und weil auch Du, sein Gott, Italiener bist.
Was immer er von nun an tun oder sagen mag, er wird nicht verhindern können, daß sein Blick himmelwärts schweift – in der Vorahnung Deines nächsten Fingerzeigs.
Der seidene Dolch
Der Staub hatte sich noch nicht gelegt über Europa: Es gab noch immer unbeerdigte Leichen. Hie und da leisteten Fanatiker, die nicht bereit waren, ihre Träume aufzugeben, noch immer verrückten Widerstand und bevorzugten, wenn es sein mußte, die zufällige Kugel der absichtlichen. Für Giuseppe Gargaglia war es zu spät für Spekulationen dieser Art. Er hatte seine Chance gehabt, und er hatte sie verpaßt. Schmählich in den Kleidern einer alten Frau gefangengenommen, saß er jetzt in einer Zelle, und zur Gesellschaft nichts als seine Gedanken. Er hätte es vorgezogen, allein zu sein. Um alles schlimmer zu machen, waren seine Gefängniswärter Italiener und daher mitfühlend. Sie machten endlose kleine Gesten, in der Hoffnung, es ihm annehmlich zu machen. Einer von ihnen, Arnaldo, ein stupsnasiger Junge aus Reggio Emilia, ging sogar so weit, ihn um ein Autogramm zu bitten. Sein Autogramm?
»Eh«, sagte Arnaldo schulterzuckend, »man weiß nie, wie die Geschichte sich wenden wird. Eines Tages kann ich vielleicht Ihre Unterschrift meinem Sohn geben und sagen, sie sei ihm gewidmet, von Exzellenz Gargaglia, dem Staatssekretär des Innern während der letzten Tage der faschistischen Ära.« Gargaglia lächelte ein wenig bitter. Die Haltung des Wärters war vertraulich und doch ehrerbietig, als wäre ihm klar, daß, wiewohl sein Schutzbefohlener ein seiner Rechte entkleideter Häftling war, der Sturz in die Ungnade doch aus schwindelnder Höhe erfolgt war.
»Na gut«, knurrte Gargaglia mit einer Spur seiner gewohnten Energie, »geben Sie mir Papier und Federhalter.« Arnaldo grinste. »Ich habe etwas Passenderes als Papier.« Und aus der Tasche zog er einen fleckigen Ausschnitt aus einer illustrierten Zeitschrift, der Gargaglia auf dem Gipfel seiner Laufbahn zeigte, zähnefletschend auf einem Balkon, die Nase in Falten gekräuselt vor Haß und Verachtung, sein Mund teuflisch bis an die Augenwinkel hochgezogen, während seine Hand mächtig in die Luft ausgriff, um irgendeinen imaginären Feind herabzuzerren. Neben ihm stand der Duce in einer Haltung nachdenklicher Anerkennung und heroischer Zufriedenheit.
»Um Gottes willen! Wo haben Sie das her?«
»Es liegen eine Menge alter Zeitschriften herum.« Jemand, der sich gut auf Diplomatie verstand, mochte vielleicht die Möglichkeit eines Hinweises in Arnaldos ausweichende Antwort hineinlesen. Gargaglia musterte ihn scharf. »Sind Sie Faschist?« fragte er leise. »Nein. Nie gewesen. Natürlich mußten wir so tun.« Aufreizend, dieser junge Bursche. Man konnte nicht wissen, wie intelligent er tatsächlich war.
Während Gargaglia schwungvoll seinen Namen schrieb, schöpfte er eine gewisse Befriedigung daraus, wieder einmal die flüssige Fanfare seiner Unterschrift zu spüren. »Wie heißt der Junge?« fragte er. »Benito.«
»Nach dem Duce?«
»Nach dem Vater seiner Mutter, einem Märtyrer für die Sache.«
»Die Sache?«
»Wir sind Kommunisten«, sagte Arnaldo im Ton einer sachlichen Mitteilung.
Gargaglias Kehle war trocken. Die letzten vierundzwanzig Stunden waren voll von Verwirrung gewesen, und zwar geistig und seelisch. Er hatte nicht gut dagestanden, als er in den gestohlenen Lumpen einer alten Vettel die Straße entlangstolperte. Er mochte ein feuriger Redner sein, aber er war kein Schauspieler. Seiner Darbietung hatte es an Überzeugung gefehlt. Er war sich dumm vorgekommen, es auch nur zu versuchen. Noch immer klang ihm das Gelächter der Partisanen in den Ohren, als ihm die Kleider vom Leib gerissen wurden, und auch die plötzliche stumme Ehrfurcht, als sie die Größe ihres Fangs erkannten.
Jetzt fuhr er sich mit müder Hand über die schlaflosen Augen. »Wenn Sie Überzeugungen dieser Art vertreten, warum, zum Teufel, bitten Sie mich um ein Autogramm?« fragte er. »Oh, wie gesagt, man kann nie wissen«, antwortete Arnaldo freundlich. »Nur wenige Männer dürfen die Geschichte auch nur für ein Weilchen beherrschen. Ich bin wohl Kommunist, aber ich bin gewiß keiner von jenen. Ich habe kein Talent. Das ist der Grund,
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