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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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ältesten Familien Roms entstamme und daß sie den größten Teil der Provinz Basilicata besitze. »Mir scheint sie eine sehr undankbare Lady zu sein«, bemerkte Mr. Rosencrantz mit einer Zurückhaltung, die dem Wunsch entsprang, sich versöhnlich zu zeigen – bis zu dem Zeitpunkt, da er genau wüßte, wer mit wem fellow-travellte und wohin, und besonders warum.
    »Wir besitzen keine Provinz, Sir«, sagte der Schaffner. »Wir können es uns leisten, freundlich zu sein. Niemand verlangt etwas von uns.«
    »Erwarten Sie noch weitere Schwierigkeiten?« fragte Mr. Rosencrantz, um das Gespräch wieder in eine vertrautere Richtung zu lenken.
    »Im Norden könnten sie schwerer zu überzeugen sein.«
    »Wegen der Industrie?« schnappte Mr. Rosencrantz messerscharf.
    »Ja.«
    »Gilt das auch für Laos?« fragte ich.
    »Ja«, antwortete er ernsthaft, »insofern, als es dort nicht viel Industrie gibt. Sehen Sie, es ist ein vorwiegend agrarisches Land, hauptsächlich gestützt auf – «
    »Reis!« warf ich ein, jetzt selber messerscharf.
    »Richtig!« schrie Mr. Rosencrantz. Ich hatte einen Freund gewonnen.
    Ich schlief gut, bis mir bewußt wurde, daß der Zug sich nicht mehr bewegte. Etwas unangenehm Endgültiges schien diesmal in der allgemeinen Atmosphäre von Ruhe und Frieden zu liegen. Ich sah hinaus. Wir befanden uns am Rande eines großen, unsäglich trostlosen Bahnhofs. Der Frühnebel war von lähmender Freudlosigkeit. Eine Lampe brannte in einem Signalwärterhäuschen, und ein Mann las. In mittlerer Entfernung leuchtete ein Fenster auf. Eine Frau mit ungemachtem Haar schien einen Tisch zu decken, während ein Mann in langen Unterhosen immer wieder auftauchte und verschwand. Soviel ich sah, sprachen sie nicht miteinander. Ich wusch mich, putzte mit die Zähne und kleidete mich an. Anschließend fühlte ich mich immer noch so, als hätte ich mich weder gewaschen noch meine Zähne geputzt oder mich angekleidet. Soviel zu Schlafwagen.
    Mr. Rosencrantz war auf dem Korridor. »Wir stehen schon mehr als eine Stunde hier«, sagte er grimmig, als triebe die Situation merklich auf eine diplomatische Auseinandersetzung zu.
    »Wo sind wir, in Mailand?«
    »Schätze ja. Unser Mann versucht herauszufinden, was los ist.«
    »Oh! Zigarette?«
    »Nein, danke trotzdem. Habe vier Päckchen täglich geraucht. Gab es auf, als ich am Blinddarm operiert wurde, mit Komplikationen, Bauchfellentzündung. Seither habe ich’s nicht mehr angefangen.«
    Diesem Gesprächsthema hätte ich sogar Laos vorgezogen, und daher kehrte ich in mein Abteil zurück, um der Dinge zu harren.
    Nach einer Viertelstunde kam der Schaffner zurück. »Ist bald in Ordnung«, sagte er. »Der Streik war nur teilweise erfolgreich. Hier oben sind sie alle zu müde, um viel zu unternehmen. Es gibt nichts Anstrengenderes, als die ganz Nacht wachzusitzen und die Arbeit bewußt zu meiden. Ein paar von ihnen halten noch durch, aber ich habe sie beschwatzt, uns ausfahren zu lassen.«
    Bald waren wir wieder unterwegs, und als die Sonne aufging, überraschend und strahlend über der friedlichen Weite des Lago Maggiore, unverschämt heiß für die Jahreszeit, so daß die Falten im Fleisch der schneebedeckten Berge sich rötlich und grau abzeichneten, begann ich, in fröhlicher Erwartung meiner Ankunft in Genf, meine Reisegefährten halb zu vergessen. Dann, fünf Kilometer vor der schweizerischen Grenze, verlangsamte der Zug unerwartet seine Fahrt und kam schließlich zum Stehen. Ich ließ das Fenster herab und lehnte mich hinaus. Das Signal stand auf Rot. Ich sah, daß wir bei der üblichen Umstellung der Waggons gleich hinter die Lokomotive aufgerückt waren, und jetzt standen wir neben dem Fünfzig-Meter-Bahnsteig eines, so schien es, Dorfbahnhofs. Es gab eine Art Bahnhofsgebäude, aber es wirkte wie ein Spielzeug. Es gab ein kleines Büffet, aber kein Lebenszeichen.
    Der Schaffner sprang auf den Bahnsteig. »Hält der Zug hier normalerweise?« fragte ich ihn. »Ich bin seit zwölf Jahren bei der Bahn«, antwortete er, »aber ich habe noch nie hier gehalten.« Dann rief er dem Lokomotivführer etwas zu, mit einem Schwenken der gewölbten Hand, die er vor den Körper hielt, der italienischen Geste für: Was, zum Teufel, ist los?
    »Die Ampel steht auf Rot!« brüllte der Lokomotivführer. Der Schaffner stemmte die Hand in die Hüfte und stand einfach eine Weile da, enttäuscht.
    Dann kam der Auftritt des Bahnhofsvorstehers. Es lag wenig Tröstliches in der theatralisch perfekten

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