Gott wuerfelt doch 1
Altersforschung auseinander gesetzt,
einem durchaus verwandten Forschungszweig; angeblich hat er Mengele zwar
gekannt, aber nicht gut.
Mengele hat
Versuche, wie er sie bei Verschuer an Kaninchen gemacht hatte, später in
Auschwitz auf Menschenkinder ausgeweitet. Er hat durch seine Versuche jede
Menge Kinder auf dem Gewissen.“ Weiser legte ein wenig Abscheu in seine Stimme
und rieb sich verschämt die Hände. „Nach seiner Flucht aus Auschwitz im Januar
1945 sind mit Mengele auch seine Unterlagen verschwunden. Man vermutet, er hat
sie noch zu Verschuer in Sicherheit gebracht.“
„Was wollen Sie
genau damit sagen, Herr Weiser?“, forderte der Richter laut und deutlich.
„Ich kann nur
sagen, was aus den Dossiers der Stasi hervorgeht, sie liegen ja dem Gericht
vor. Professor Landes ist demnach erst Ende Februar 1945 an die Ostfront
gerufen worden. Landes hat laut Dossier genügend Zeit gehabt, die Akten von
Mengele sowie seine Versuchsaufzeichnungen über Auschwitz und die
entsprechenden Präparate in Sicherheit zu bringen.“
„Das ist eine
Lüge!“, schrie ich. Der Richter rief zur Ordnung. Danach herrschte absolute
Stille im Gerichtssaal. Jetzt schien es, als sei mein Vater der Angeklagte. Ich
hatte den Kopf gesenkt und schämte mich. Dann brach ein Tumult aus.
Journalisten verließen eilig die Sitzung, und der Richter musste erneut zur
Ordnung rufen.
Ich konnte nur zusehen und nichts, aber auch gar nichts für
meinen Vater tun. Dieses Gefühl der absoluten Machtlosigkeit fraß sich durch
meine Eingeweide. Es kam mir so vor, als sei nicht ich dem Zustand
ausgeliefert, sondern als sei ich in diesen Zustand hineingeschlüpft.
„Herr Weiser, was
hat das alles mit dem Fall der beiden Söhne zu tun?“
„Nun, die Regierung
der DDR wusste von der Arbeit von Professor Landes. Sie wusste auch, dass er
früher als Verschuers Vertrauter Zugang zu den Aufzeichnungen Mengeles gehabt
haben musste. Die Arbeiten von Herrn Professor Landes in den Jahren nach dem Krieg
schienen vielversprechend, was die Altersforschung anging. Das wäre doch ein
Geheimnis, das ewige Jugend verspräche. Natürlich waren Ulbricht, Honecker und
Konsorten wie wild hinter diesen Dingen her. Sie hatten ja gottgleichen Status,
und Götter sollten doch unsterblich sein.“ Weiser machte wieder eine Pause,
doch der Richter forderte ihn auf, weiter zu reden.
„Ich habe mehrmals
mit dem Arzt, Dr. Böhler, geredet, der das tote Mädchen gegen Konrad
ausgetauscht hatte. Er war felsenfest, ja sogar visionär davon überzeugt, man
könne Zwillinge so erziehen, dass sie von keinem Menschen auf der Welt
unterschieden werden könnten. Es ist ihm nicht ganz gelungen“, plötzlich hatte
Weiser sich zu mir gedreht und hob den Zeigefinger gegen mich, „denn dieser
Mann dort ist Konrad Landes, er konnte sich nicht so gut verstellen, dass er
mich täuschen könnte.“
„Wieso glauben Sie
das?“, fragte der Richter gelassen.
„Er hat seinen
Vater verraten. Die Papiere sollten Ihnen vorliegen.“
Der Richter zeigte
Weiser eine Mappe und fragte ihn: „Sind das die Unterlagen, die der Angeklagte
ihnen gegeben hat?“
„Ja, das sind die
Papiere. Es sind Unterlagen über die Forschungen von Professor Landes. Ganz
eindeutig sind das Papiere, die nicht für jedermann zur Einsicht gedacht sein
können.“
Mein Vater wurde erneut als Zeuge in den Saal gerufen. Ich
saß zusammengesunken auf meinem Platz und schämte mich wie noch niemals in
meinem Leben zuvor. Der Richter zeigte meinem Vater die Unterlagen, die ich ihm
entwendet hatte, und er bestätigte mit einem geschlagenen Nicken. Er hob
langsam seinen Kopf und sah mich traurig an. Jetzt schien er wirklich nicht
mehr zu wissen, ob er seinem Sohn, den er groß gezogen hatte, oder dessen
Doppelgänger in die Augen sah. Zumindest war ich sicher, dass er mich ab jetzt
verabscheute.
Mein Anwalt
erzählte mir nach dem Prozesstag, eine Frau, die den Gerichtssaal verlassen
habe, habe Vater als Nazischwein beschimpft, als Mutter und Vater in ihrer
Funktion als Zeugen auf dem Flur warten mussten. Daraufhin sei meine Mutter auf
der Treppe einem Schwächeanfall erlegen und zusammen gebrochen.
*
Am nächsten Morgen
las ich die Zeitungen, und die Verunglimpfungen waren niederschmetternd. Mein
Vater wurde als Komplize Mengeles beschrieben, der Zusammenbruch meiner Mutter
vor dem Gerichtssaal als gespielt ausgekostet, und einige Bilder zeigten Vater
mit sehr unvorteilhafter Mimik. Er war stigmatisiert.
Meinen
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