Gott wuerfelt doch 1
sei.
Mutter war nahezu
vernehmungsunfähig. Sie wurde vom vorsitzenden Richter gefragt, ob der
Angeklagte ihr Sohn sei? Sie antwortete mit Ja. Der Richter fragte, welcher
Sohn? Meine Mutter wurde unsicher, sagte jedoch: „Das ist mein Sohn Walter.“
Der Richter fragte
sie, ob sie ganz sicher sei. Sie wand sich, sah mich an, sah zu Boden, und nach
einer gewissen Zeit brach sie in Tränen aus.
Vater reagierte
sicherer auf die Frage, ob ich sein Sohn sei. „Dass dieser Mann mein Sohn ist,
ist wohl sicher.“
Der Richter fragte
ihn: „Ist dieser Mann ihr Sohn Walter?“
„Ich glaube ja.“
„Sind Sie sich da
absolut sicher?“
„Ich glaube schon!“,
sagte Vater, und ich merkte, wie mich seine Aussage beruhigte.
„Können Sie absolut
sicher sein, dass dieser Mann der Mann ist, den Sie großgezogen haben?“, fragte
der Richter klar und deutlich. „Ja, das ist mein Sohn Walter.“ Vater sah mir
fest in die Augen, und ich erkannte, dass er nicht wusste, ob er die Wahrheit
sagte.
Ich war nie ein
Kenner juristischer Zusammenhänge gewesen. Doch es war mir klar, dass beide auf
Anraten ihres Anwalts weitere Aussagen verweigern würden.
Gegen Mittag wurde
die Sitzung unterbrochen. Der Wachmann, der neben mir war, führte mich durch
einen Gang in ein separates Zimmer. „Was mache ich hier?“, fragte ich.
„Sie bekommen jetzt
ein Kantinenessen“, antwortete der Mann gelangweilt.
„Ich habe aber
keinen Hunger!“, trotzte ich.
„Das spielt keine
Rolle, Sie haben eben Recht drauf, und dann kriegen Sie das auch!“, beharrte
er.
Nach dem
Mittagessen, das ich kaum angerührt hatte, brachte er mich zurück zu meinem
Sitz hinter dem kleinen Gitter.
Als der nächste
Zeuge den Gerichtssaal betrat, wurde mir schlagartig klar, dass meine Chance
erheblich gesunken war. Weiser grinste mich kalt an, während er in den
Zeugenstand schritt.
„Sie haben beim
Ministerium für Staatssicherheit im Rang eines Majors gearbeitet?“, wollte der
Richter wissen.
„Ja, das stimmt.“
„Welche Aufgaben
hatten Sie, Herr Weiser?“, fragte der Richter laut und deutlich.
„Sonderaufgaben.“
„Welche
Sonderaufgaben?“, fragte der Richter.
„Nun, ich war zum
Beispiel zuständig für das Projekt Landes, die Überprüfung des Werdegangs des
jungen Konrad Landes.“
„Ist dieser Konrad
Landes hier zugegen?“
„Ja, dort sitzt
er.“ Weisers Zeigefinger deutete auf mich. Es ging ein leises Raunen durch das
Publikum.
„Sind Sie absolut
sicher?“, forderte der Richter.
„Ja!“, antwortete
Weiser und ließ keinen Zweifel in seiner Stimme.
„Was macht Sie so
sicher, Herr Weiser? Könnte es sich bei dem Mann, auf den Sie gezeigt haben,
nicht um seinen Zwillingsbruder, Walter Landes, handeln?“, fragte er noch
einmal.
„Ich bin ihm
vergangenes Jahr mehrmals begegnet. Wir haben über Ereignisse in der
Vergangenheit gesprochen, die nur er wissen konnte. Er war mir stets vertraut“,
sagte er überzeugend.
Ich beobachtete den
Richter, der mit stoischer Miene auf Weiser hinab sah.
„Herr Weiser, als
die Gauck-Behörde die Akten über den Fall Landes sichtete und ausarbeitete,
sind die Beamten auf Ihren Namen gestoßen. Bei der Polizei sind Sie dann
mehrfach einvernommen worden“, fuhr der Richter fort.
Weiser nickte. „Ja,
dem ist so.“
„Sie erklärten sich
bereit, alles was Sie wissen, auszusagen und die Hintergründe des Falls zu
schildern.“
„Ich habe diese
Dinge bereits vor der Polizei ausgesagt und werde hier auf alle Fragen noch
einmal gerne antworten.“
Weiser wollte sich
also selbst aus dem Dreck ziehen und mich belasten. Eine Wendung, mit der ich
gar nicht gerechnet hatte. Ich hatte eher damit gerechnet, dass Weiser
mittlerweile untergetaucht wäre.
„Herr Weiser,
berichten Sie uns über Ihre Beziehung zu Konrad Landes.“
Weiser rückte sich
zurecht und nahm eine offene Haltung an. „Ich kenne Konrad Landes seit seiner
Jugend. Konrad bekam eine Erziehung von Privatlehrern, was übrigens in der DDR
nichts Ungewöhnliches war. Viele Kinder wurden speziell ausgebildet, um für
spätere Aufgaben vorbereitet zu werden.“
„Was bedeutet vorbereitet?“
Der Richter zog die Brauen zusammen.
„Nun ja, wir
mussten jungen Menschen eine Ausbildung geben, die dem westlichen Standard
entsprach, damit sie später im Einsatz als Erwachsene im Westen nicht auffallen
würden. Viele haben wir natürlich auch später erst im Westen rekrutiert. Aber
einige Sonderfälle wurden nicht aufgrund ihrer
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