Gott wuerfelt doch 1
gemacht. Die sind ja in
der Akte.“ Weiser zeigte mit dem Finger auf die Akte, die beim Richter lag.
„Wie glauben Sie,
ist das vor sich gegangen, und wie kann ein Mann seinen Bruder ersetzen, ohne
dass die Eltern das merken?“, fragte der Richter.
Weiser räusperte
sich, tat ein wenig beschämt und setzte an: „Ich möchte betonen, dass ich erst
im Nachhinein von den Dingen unterrichtet worden bin. Und zwar von meinem
damaligen Vorgesetzten bei der Staatssicherheit. Demnach ist angeblich
folgendes passiert: Damit Konrad Landes seinen Bruder ersetzen konnte, musste
Walter Landes im Vorfeld völlig aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Seine
Persönlichkeit musste dergestalt zerstört werden, dass selbst seine Eltern ihn
nicht wieder erkennen sollten. Als wirkungsvollste Methode wurde der Plan
gefasst, Walter Landes Freundin zu beseitigen. Das würde den jungen Mann
vollkommen aus der Bahn werfen: ein idealer Zeitpunkt, ihn durch Konrad zu
ersetzen. Die geringen Unterschiede zwischen Walter und Konrad würde jeder
mitfühlende Verwandte und Bekannte als Persönlichkeitsveränderung aufgrund des
Schocks von Walter Landes nach dem Verschwinden seiner Freundin akzeptieren. Es
war geplant, dass Konrad stark abnehmen sollte, damit auch leichte Unterschiede
im Aussehen kaschiert werden konnten.“
„Perfide und
genial“, dachte ich. Und es stimmte sogar, nach Annas Verschwinden war ich
stark abgemagert.
„Nun, diese Tat“,
sagte Weiser und sah mich an, „sollte für den hier anwesenden Konrad Landes die
Feuertaufe werden. Die Staatssicherheit hat ihn dorthin geschickt, wo Anna,
also Walters Freundin, zu der Zeit ihren Urlaub verbrachte. Dort hat Konrad
Landes sie getötet.“ Ein Raunen ging durch den Saal. „Es war ja nicht schwierig
für ihn, sich an die junge Frau heranzumachen, denn sie würde ihn ja anfangs
zumindest für ihren Freund halten. Ihre Leiche hat er dann im Meer verschwinden
lassen.“
Mir wollte es das
Herz zerreißen, denn ich konnte es nicht fassen. Hatte Konrad Anna wirklich
umgebracht, oder war das auch eine dieser abscheulichen Lügen von Weiser, die
er brauchte, um sich selbst zu entlasten?
„Er lügt!“, schrie
ich aus Leibeskräften. „Nichts als Lügen!“ Meine Lippen zitterten, meine Hände
waren auf den Tisch gestützt, doch mein Anwalt hielt mich zurück. Der Richter
sah zornig zu mir herüber und ermahnte mich.
Weisers Pupillen
hatten mich ungerührt und kalt fixiert. Ich fühlte mich wie eingeklemmt
zwischen seinen Augen und spürte, wie die Abscheu in meinen Gedärmen wühlte.
Ich durfte nicht resignieren, doch mir war klar, dass dieser Mann mich
vernichten wollte.
„Wozu das ganze
Theater, Herr Weiser, haben Sie dafür eine Erklärung? War dieser Aufwand nicht
sehr groß? Welche Vorteile haben sich ihre Vorgesetzten davon versprochen?“,
fragte der Richter.
„Der Aufwand war
enorm, das ist richtig. Doch nicht absolut ungewöhnlich. Die Staatssicherheit
hat keinen Aufwand gescheut, um an Informationen zu kommen. Außerdem ist der
Vater von Konrad und Walter Landes ein besonderer Geheimnisträger.“
Die Zuschauer
raunten erneut, und plötzlich war es ganz still. Alles wartete auf Weisers
weitere Aussagen meinen Vater betreffend. „Herr Professor Doktor Landes ist
seit der Nazi-Zeit ein Geheimnisträger. Er besitzt Kenntnisse von Akten und
Vorfällen, die auf der ganzen Welt gesucht wurden und werden. Diese
Informationen wollte die Staatssicherheit haben.“
„Welche Art
Informationen meinen Sie?“ Der Richter konnte trotz seiner Beherrschung jetzt
seine Neugier kaum verbergen. Auch die Schöffen rückten ihre Sitzposition
zurecht.
„Herr Professor
Landes war Assistent von Professor Otmar Freiherr von Verschuer am Institut für
Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt. Verschuer war“, und jetzt sah
Weiser mich direkt an, „der Lehrer von Doktor Doktor Josef Mengele, dem KZ-Arzt
von Auschwitz.“
Das Murren im Saal
wurde lauter. Weiser machte eine Pause. Der Richter musste laut und deutlich um
Ruhe bitten. Alle Blicke hielten mich gefangen, der ich in meinem Sitz förmlich
zu versinken drohte. Mein Anwalt wollte Einspruch erheben, wurde jedoch vom
Richter zurückgewiesen.
„Weiter, Herr
Weiser, sprechen Sie weiter!“, mahnte der Richter.
„Die Forschungen
von Verschuer betrafen die Eugenik, also der Lehre von ... sozusagen ... der
Verhinderung der Ausbreitung ungünstiger Erbanlagen. Der Vater von Walter und
Konrad Landes hat sich damals mit der
Weitere Kostenlose Bücher