Gottes blutiger Himmel
tötete alle Bewohner. Nur ein siebenjähriger Junge überlebte, und der hatte den Mörder erkannt. Daraufhin schnappte ihn ein Killerkommando in Polizeiuniformen, und wenige Stunde später lagdie Leiche von Hazems Bruder entstellt auf der Straße. Noch am selben Tag wurden auch seine Frau und seine beiden Kinder getötet, die übrige Familie floh nach Syrien. Nur Hazem blieb, obwohl auch er von den Rächern gesucht wurde. Er wollte seinen Bruder und dessen Familie rächen, und dies konnte er nur, indem er sich einer Kampfgruppe anschloss. Schließlich war er bei al-Qaida gelandet und in dieses Lager geschickt worden. Aber jetzt merkte er, dass er nicht in der Lage war zu tun, was man von ihm verlangte. Lieber wollte er sich seiner geflüchteten Familie anschließen. Er wolle mich nach Syrien begleiten und in Damaskus sein Wirtschaftsstudium fortsetzen. Nein, das Selbstmordattentat würde er nicht ausführen. Er traue sich nur nicht, es den anderen zu sagen.
»Kannst du es Abdallah nicht sagen?«, bat er mich. Ich versprach, es Samer mitzuteilen. Er nahm meine Hand und drückte sie: »Ich will nicht sterben, wirklich nicht!« – »Du wirst nicht sterben«, sagte ich, »wir fahren zusammen.«
Beim Mittagessen sahen wir uns wieder. Als die Kämpfer fertig gegessen hatten, verließen alle das Gästehaus, bis nur noch Samer und ich da waren. Ich sagte zu ihm: »Abu Ubada wagt nicht, es dir und den anderen zu sagen. Er will keine Aktion ausführen. Er will seiner Familie nach Syrien folgen und dort studieren. Ich habe ihm vorgeschlagen, ihn mitzunehmen.«
Samer sah mich an. Er hatte nichts dagegen. Ich hatte erwartet, ihn verärgert zu sehen oder dass er mich beschuldigen würde, ich hätte den jungen Mann zu diesem Schritt überredet. Aber er sagte: »Es ist seine Sache. Möge Gott geben, dass seine Entscheidung die richtige ist.« Samer schien sogar erfreut zu sein, denn er fügte hinzu: »Dann hast du wenigstens jemanden, der dir auf der Reise Gesellschaft leistet.«
13
Es war nach Mitternacht, ich war noch wach und dachte nach, da klopfte es an meine Tür. Ich versuchte durch den Spalt etwas zu erkennen, aber ich sah nichts. Da erkannte ich Hazems Stimme und ließ ihn herein. Er bat mich, kein Licht zu machen. Wir setzten uns im Dunkeln. Er zitterte und seine Stimme bebte. Dann ließ er seinen Worten freien Lauf. Was er heute gesehen hatte, war nicht zu glauben.
Nach dem Nachmittagsgebet hatte ihn Samer zu einem Rundgang mitgenommen. Hazem dachte zunächst, Samer wolle mit ihm die kleine muslimische Gemeinde inspizieren, in der sie lebten. Aber sie stiegen zusammen mit den anderen Kämpfern in ein Auto und fuhren über holprige Wege hinaus in eine unbewohnte Gegend, in der nur vermummte Wächter die Umgebung kontrollierten. Nach etwa einer halben Stunde stiegen sie aus und liefen eine Viertelstunde zu Fuß weiter.
Sie kletterten scheinbar ziellos über Felsen und Steine. »Niemand außer Samer wusste, dass wir zu einem Außenposten unterwegs waren, den al-Qaida und von Zeit zu Zeit andere mit ihr verbündete Gruppen nutzen.« Die Sonne neigte sich zum Horizont, und ein seltsamer stechender Geruch lag in der Luft. Je weiter sie vordrangen, desto schlimmer wurde der Gestank. Er kam aus riesigen, in der Erde verlegten Röhren und einem Steinbruch. Die Tunnel waren Jahre vor der Besetzung des Irak als Abwasserkanäle angelegt und wegen des Wirtschaftsembargos wieder außer Betrieb genommen worden. Jetzt dienten sie den Islamisten als Kerker, wo Gefangene verhört und unter Folter zum Sprechen gezwungen wurden, bevor ein Schariagericht sie verurteilte, meist zum Tode.
Hazem und die anderen liefen aufrecht durch die hohenRöhren und hörten die Schreie von Gefangenen, die ihre Aufseher um Gnade anflehten und ihnen schworen, sie seien keine Komplizen der Besatzung, keine Verräter, Spione, Ungläubige oder Abtrünnige. Hier fanden Hinrichtungen oft auch ohne Gerichtsverfahren statt, meist durch Kopfschuss, manchmal mit dem Schwert. Banden brachten die Menschen, die sie von der Autobahn nach Amman oder nach Damaskus weg entführten. Sie wählten sie nach den Angaben in ihren Ausweisen aus, meist waren es Schiiten. Die Nacht zuvor waren drei schiitische Familien hergebracht worden; man hatte sie aus dem Bus gezerrt, mit dem sie nach Amman unterwegs gewesen waren, hierher transportiert und hingerichtet. Unter den Opfern waren auch fünf- oder sechsjährige Kinder. »Wir stiegen über Leichenteile und wateten durch
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