Gottes blutiger Himmel
sei, es ist passiert. Ich habe wieder geglaubt.«
Samers Augen leuchteten in der Dunkelheit, als er sagte: »Vater, verleugne dieses Erlebnis nicht!«
»Ich verleugne es ja nicht …«
Da kam mir etwas in den Sinn. Ich spürte, dass sich mir eine Chance auftat. Ob sie realistisch war oder nicht, wusste ich nicht, aber ich wollte sie keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen. Ich sagte: »Was wäre, wenn Gott mir dieses Erlebnis verschafft hätte? Und wenn nicht ich damit gemeint wäre, sondern du? Wenn es eine Botschaft an dich sein sollte, die ich dir überbringen sollte? Wie hätte ich ohne göttlichen Beistand diesen weiten Weg machen können, allen Widerständen, Hindernissen, Kontrollpunkten zum Trotz? Ich bin nur knapp dem Tod entronnen. Glaubst du nicht, dass das alles passiert ist, damit ich dich zurückhole? Vielleicht hat Gott mir auf die Zunge gelegt, dass ich dir sage: Du umgibst dich mit Dutzenden von Koranauslegungen, mit denen du Selbstmord und Blutvergießen rechtfertigst und die dich blind machen für Gottes Gerechtigkeit und Gnade.«
»Gott hätte mir jemand anders geschickt. Und wenn er wirklich dich zu mir gesandt hat, dann um dich auf den rechten Weg zu bringen. Ich kenne meinen Weg zum Licht.«
Ich zeigte zum sternlosen Nachthimmel: »So ein Licht wie dieses hier meinst du? Mit deiner Behauptung, du wüsstest den Weg zum Heil, machst du diese armen Kerle zu todbringenden Selbstmördern!«
»Dies ist der Weg des gläubigen Kämpfers für den Dschihad.«
»Du schickst sie in den Tod, siehst du das nicht?«
»Ich sehe sehr klar.«
»Gar nichts siehst du in deiner Finsternis!«
11
Währenddessen liefen wir in ganz realer Finsternis durch das Gestrüpp, und Samer nahm mich an der Hand, damit ich nicht stolperte, obgleich ich es war, der ihn hätte an der Hand nehmen müssen, um ihn auf den richtigen Weg zurückzuführen. Er brachte mich zu dem Haus, das er bewohnte. Der Eingang war nur daran erkennbar, dass durch ein kleines Fenster in der Haustür etwas Licht schien. Er klopfte ein paar Mal an die Tür, bis eine schlanke Frau von vielleicht zwanzig Jahren erschien. Sie hatte ein rundes, braunes Gesicht, sofern man es im Halbdunkel erkennen konnte, und große, schwarze, aber dennoch matt wirkende Augen. Ihre Wangen waren ein wenig eingefallen, und sie trug ein weißes Tuch auf dem Kopf. Sie musterte mich mit freudlosem Blick und zog sich ins Haus zurück.
Samer führte mich in ein spärlich möbliertes Zimmer mit nackten Wänden. Licht kam nur von einer kleinen Kerze neben einem Koran, der auf einem Holzregal lag. Dazu gab es noch einen Tisch an der Wand, auf dem ein Computer und ein Fernseher standen. Strom nutzte Samer nur, um diese beiden Gegenstände zu betreiben. Auf dem Boden lag ein bunter Teppich, auf den wir uns niederließen, strohgefüllte Polster dienten uns als Armlehnen. Samer rief die junge Frau und bat sie, eine Kanne Tee zu kochen. Sie heiße Hind, sagte er, und dass er Verantwortung für sie trage. Ich fragte nicht weiter nach, wer sie war oder warum sie bei ihm lebte. Ich nahm an, dass sie vielleicht wie viele andere Mädchen imIrak ihre Familie bei einem amerikanischen Luftangriff verloren hatte oder dass ihre Angehörigen ethnischen Morden zum Opfer gefallen waren. Andere, die ihr Schicksal teilten, endeten in Damaskus, Amman oder am Golf in der Prostitution, wenn sie niemand irgendwo aufnahm.
»Sie ist die einzige Überlebende ihrer Familie«, sagte denn auch Samer, und doch hatte ich falsch geraten. Diese Frau war von Amerikanern vergewaltigt worden, einem Offizier und zwei Marines, auf die die US-Armee so stolz war. Danach hatten sie sie an Freunde in der irakischen Polizei weitergegeben. Sie wollte nur noch Rache nehmen und hatte sich daher als Kandidatin für Selbstmordanschläge gemeldet.
»Ich sollte sie für einen Einsatz vorbereiten«, erklärte Samer, »aber ich wollte zuerst sichergehen, dass sie fest im Glauben steht und für Gott sterben und nicht nur ihre Schande tilgen will. Da erfuhr ich, dass sie schwanger ist und was sie alles ertragen musste. Sie war zwei Monate lang in Kellern eingekerkert und hat währenddessen ihre Entscheidung getroffen. Ich habe sie geheiratet, damit sie nicht länger das Gefühl hätte, sie würde verachtet für das, was ihr widerfahren ist. Unser Arzt hier im Stützpunkt wird bald die Abtreibung vornehmen.«
Ich sah ihn verwundert an und hörte mich einen Koranvers zitieren: » Ihr sollt nicht töten, was Gott euch verboten
Weitere Kostenlose Bücher