Gottes blutiger Himmel
und des Lebens. Es schmerzt unendlich, aber ich wage es. Ich berichte.
18
Über Lautsprecher wurden die Überlebenden aufgefordert, sich zu ergeben, aber Gewehrfeuer und eine Mörsergranate unterbrachen die Durchsage, und es begann wieder heftiger Beschuss. Ich folgte Samer ins Gebüsch, während das schreckliche Sirren wieder begann. Wenn es jetzt gleich brummen würde, dann wären die Flugzeuge wieder am Himmel zu sehen. Mittlerweile hatten wir das Schilf ganz durchquert, aber Samer rannte weiter, ich hinter ihm her. Er wollte Hind aus seinem Haus holen, bevor auch dort die Bomben einschlügen.
Es war zu spät. Bomben hatten das Haus zerstört, Hind lag neben einem Beet, sie war hinausgerannt, bevor sie getroffen wurde, und dann noch ein paar Meter weit gekrochen. Wir liefen zu ihrem Leichnam, sie lag auf dem Rücken, ihr Gesicht war vor Schreck verzerrt, ihre Augen kündeten von unvorstellbarer Panik. Es roch nach verbranntem Fleisch, Rauch stieg aus ihrem Haar und ihrem Mund auf. Samer hobsie auf und trug sie in den Armen, so als könnte er noch etwas für sie tun, er lief ein paar Schritte, aber seine Beine vermochten ihn nicht zu tragen. Auf der Erde kniend, starrte er mit verwunderten Augen zum Himmel, als erwartete er, das Firmament müsse sich auftun und Gott erscheinen und alles in seinen Urzustand zurückversetzen.
Das Schweigen Gottes war beängstigend. Ich nahm Samer die Leiche aus den Armen, bettete sie unter einen Baum, von dem nur der Stamm übrig geblieben war, zog meine Jacke aus und bedeckte Hind damit. Samer stand auf, zog die Jacke wieder weg und sagte: »Möge ihr Blut am Jüngsten Tag Zeuge gegen ihre Mörder sein.« Er trat zur Seite und betrachtete sie. Vielleicht sah er sie so, wie ich sie sah: eine schöne, zarte und zerbrechliche Frau, aber vermutlich dachte er nicht so wie ich: Hatte sie nicht Besseres verdient als Folter, Vergewaltigung und diesen grauenhaften Tod? Für ihn musste alles vorherbestimmt sein, selbst wie sie hier langsam verbrannte. Doch er sagte etwas, das ich nicht erwartet hatte: »Vater, ich habe sie geliebt.«
Seine Augen füllten sich mit Tränen. Mit gebrochenem Herzen stand er vor mir, bedrückt von Liebe und Hass. Ich hatte Mitleid mit ihm, und es zerriss mir das Herz.
Samer richtete sich zu voller Größe auf, blickte verächtlich auf den Rauch und die Asche, hob seinen Kopf erneut zum Himmel, seine Augen blitzten drohend, und mit donnernder Stimme, lauter als alle Flugzeuge und Panzer, rief er: »Herr, du weißt, dass ich dich nie um Ruhm und Ehrennamen gebeten habe! Ich habe die Feinde nicht bekämpft, um deiner Vergebung und deiner Gunst teilhaftig zu werden. Ich habe das Paradies nicht für mich, sondern für andere begehrt. Weder Beute noch Vorteil habe ich mir von dir gewünscht. Ich wollte das Land der Muslime vom Schmutz unserer Feinde reinigen und einen Staat des Islams errichten,in dem dein Gesetz gilt und in dem nur du angebetet wirst, in dem dein Buch gelesen wird und in dem dein Wort erklingt und Wahrheit wird.«
Samer reckte seine Fäuste in die Luft und rief mit einer Stimme wie Blitz und Donner: »Gepriesen seist du, Gott, auf deinem Thron. Ich habe mein Gelübde nicht gebrochen, wie steht es um dein Versprechen? Du hast dich von mir abgewandt und die Ungläubigen obsiegen lassen!«
Er verbarg sein Gesicht zwischen den Armen und wusste nicht weiter in seiner Verwirrung, und seine Augen waren blutunterlaufen.
»Herr«, rief er weiter, »ich stelle dir mein Schicksal anheim, doch lass mich nicht im Stich! Ein vortrefflicher Herr bist du, und keiner gewährt mir Beistand außer dir! Vergib mir, wenn ich geschwankt habe oder Zweifel in meinem Herzen aufstiegen. Vergib mir, Barmherziger! Du hast mich geschaffen, und ich bin dein Diener, so führe mich und leite mich. Und lass deine Gnade an mir walten, erhabener und gütiger Gott!« Und im Klageton bat er: »Herr, lass mir Gerechtigkeit zuteilwerden. Gerechtigkeit erbitte ich von dir!«
Das Feuergefecht war verstummt. Das Bombardement hatte den Widerstand der Kämpfer zum Erliegen gebracht, und für einen Moment war alles ruhig. Über Lautsprecher erging wieder ein Aufruf an die Überlebenden, mit erhobenen Händen hervorzutreten. Eine abgeschossene Panzerfaust wurde mit erneutem Beschuss beantwortet. Mühsam erhob sich Samer. Ich hielt ihn fest und bat ihn, sich zu ergeben. Ich versprach ihm, ihn heil nach Syrien zu bringen. Doch er wandte sich ab und blickte in Richtung des Dickichts. Er
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