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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Grenze brachten, nachdemsie vorher geeignete Wege getarnt und gesichert hatten. Manchmal mussten die Kämpfer nur ein oder zwei Nächte lang warten, manchmal aber auch über eine Woche – je nach Intensität der Grenzkontrollen und der momentanen regionalen und internationalen politischen Situation. Den besonderen Ruf, den das Dorf unter arabischen Nationalisten genoss, hatte es sich schon während des französischen Mandats erworben, als es Männer der syrischen Widerstandsregierung aufnahm und ihnen dabei half, in den Irak zu flüchten. Heute kam zu dem Nimbus von Stolz und Ehre noch dazu, dass die Schleuserei auch eine bescheidene Einnahmequelle war, auf die man jedoch hin und wieder für einen Gotteslohn verzichtete.
    Aus der Ferne unterschied sich das Dorf kaum von den übrigen Ansiedlungen, an denen ich vorbeigefahren war. Ich kam bei Sonnenuntergang an. Auf dem kleinen Dorfplatz stand ein einfaches, heruntergekommenes Denkmal, ein paar verwitterte Steine sollten irgendetwas darstellen, was, das war schwer zu erkennen. Vielleicht sollte es die Bauernschaft jener Zeit symbolisieren, als Arbeiter und Bauern zusammen das Rückgrat der damaligen Volkskräfteallianz gebildet hatten, oder es war ein Märtyrerdenkmal vom Juni-krieg 1967 oder vom Oktoberkrieg 1973. Vom Dorfplatz aus verzweigten sich in unregelmäßigen Abständen parallel angelegte, niedrig gebaute Häuser entlang von Sträßchen, die in Weizenfelder mündeten. Über verwinkelte Pfade kam man zu einem kleinen Café, und vor leeren, düsteren Läden, in denen es nichts zu kaufen gab, saßen deren Besitzer auf kleinen Hockern mitten auf der Straße. Ich grüßte sie, sie murmelten etwas zurück und verfolgten mich mit halboffenen Augen. Geschäftig hantierende Dorffrauen musterten mich scharf und beobachteten jeden meiner Schritte, damit ihnen nicht entging, an welche Tür ich klopfen würde.
    Ein paar Jungen spielten auf einem leeren Platz, ich fragte sie nach dem Haus des Bürgermeisters, und sie führten mich hin. Der Dorfchef erwartete mich schon vor seinem Haus und begrüßte mich übertrieben herzlich. »Sie kommen zur rechten Zeit«, versicherte er mir. Ein spärlich möblierter Raum, der eher wie ein Laden aussah als wie ein Büro, war sein Amtssitz. In einer Ecke stand ein kleiner Tisch aus Eisen, auf dem Papiere und Stempel lagen, dazu gab es zwei Korbstühle und an der Wand ein paar dünne Sitzpolster. Auf einem Messingtablett standen ein Tonkrug mit Wasser, ein Samowar und eine Kaffeekanne mit kleinen Tassen. Er bot mir Essen an, doch ich verwies dankend darauf, dass ich in der Raststätte von Deir az-Zor bereits etwas gegessen hätte.
    Normalerweise wäre mir bei diesem Bürgermeister nicht wohl gewesen. Er kam mir heuchlerisch vor. Dass er sich in einer schwierigen Situation befand, milderte jedoch mein Urteil über ihn. Ich sah in ihm einen armen, subalternen Spitzel, der bemüht war, sein wahres Treiben zu verhehlen. Hätten die Dorfbewohner gewusst, wie eng er in der gegenwärtigen widrigen Situation mit dem Geheimdienst kooperierte, hätten sie ihn wohl samt seiner Familie aus ihrer Gemeinschaft verbannt, wenn er nicht gar wie ein räudiger Hund getötet worden wäre. Es sei denn, und das war am wahrscheinlichsten, er arbeitete als Agent für alle: den Staat, die Schleuser und die Kämpfer.
    Er goss mir reichlich Tee und Kaffee ein, stellte mir einen annehmbaren Schlafplatz zur Verfügung und hoffte insgeheim, damit sei meinen Wünschen Genüge getan. Außerdem dachte er wohl, wenn er nur übertrieben gastfreundlich tat, würde ich in der Hauptstadt Gutes über ihn berichten und ihn damit beim Geheimdienst und in dessen Büros in der Provinz vor Unbill bewahren.
    Er riet mir, aus Sorge um mein Leben, nicht nachts durchs Dorf zu gehen. Die Sicherheitslage sei nicht gut, in der Dunkelheit würden hier Ortsfremde ihr Unwesen treiben, und sie könnten auf mich aufmerksam werden, wenn ich herumliefe. Auch die Dorfbewohner sähen das nicht gerne. Ich solle lieber in seinem Gästehaus bleiben, er sei nicht geizig und würde mir alles bringen, was ich brauchte. Er würde zudem die Dorfältesten zu einer Abendgesellschaft zu sich bitten, damit sie mich darüber unterrichteten, was an der Grenze vor sich ging.
    Ich sagte, mich interessiere nicht, was außerhalb des Dorfes geschah. Vielmehr sei ich gekommen, um nach einem jungen Mann von dreiundzwanzig Jahren zu suchen. Er heiße Samer, und ich müsse ihn noch heute finden, um seinem

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