Gottes blutiger Himmel
zu und setzte sich neben mich. Er nahm sich das Tuch vom Gesicht. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Er betrachtete mich eine Weile und fragte dann: »Woher kommstdu, Bruder?« – »Aus Damaskus.« – »Wer hat dich zu uns gebracht?«
Ich zögerte mit einer Antwort. Die Gelegenheit war schneller gekommen, als ich erwartet hatte. Ich ergriff sie, indem ich rasch sagte: »Mein Sohn ist bei euch, und ich bin gekommen …«
Sein Blick war so verwundert, dass ich kurz innehielt und dann sagte: »Ich bin gekommen, um mich von ihm zu verabschieden.«
»Wer ist denn dein Sohn?«
»Samer …«
»Wir benutzen hier keine Klarnamen.«
Ich kramte eine Fotografie von Samer aus meiner Hosentasche. Er nahm sie, nahm eine Kerze, die neben uns stand, und betrachtete das Bild im Schein der Flamme. »Unser Bruder Samer ist dein Sohn!«, entfuhr es ihm. Er umfasste meine Hand mit beiden Händen, dann klopfte er mir auf die Schulter und entschuldigte sich: »Verzeih, mein Lieber, wir kennen ihn gar nicht unter diesem Namen. Nenne ihn am besten vor niemandem. Man muss vorsichtig sein.«
Er musterte noch einmal mein Gesicht, und einen Moment lang fürchtete ich, er würde mir gleich eine schlechte Nachricht überbringen. Aber dann sagte er nur mit naiver Freude in den Augen: »Gott hat dir ein großes Geschenk mit ihm gemacht. Uns ebenso. Dein Sohn ist ein frommer Mann mit einem starken Glauben, wie man ihn selten findet.«
Er gab seinen Freunden, die erwartungsvoll dastanden, ein Zeichen. Kurz darauf ging das Licht an, und die Trauergäste waren nun zu erkennen. Alle schwiegen betreten. Unter den Vermummten trat ein beleibter, mittelgroßer Mann hervor und zog sich das Tuch vom Gesicht. Ein kurzer weißer Kinnbart kam zum Vorschein. Er rief so laut, dass man es auch in den Nachbarhäusern hören konnte: »Dies hierist keine Trauerfeier! Es ist ein Fest für unseren Märtyrer! Haltet eure Tränen zurück!« Sogleich brach das Weinen der Frauen ab.
»Wer auf dem Wege Gottes den Tod erleidet«, fuhr er fort, »für den wird ein Freudenfest gegeben, keine Trauerfeier. Verbergt euren Kummer, und stellt Freude zur Schau! Wenn wir schon für den eine Hochzeit ausrichten, der sich mit einer Sterblichen vermählt, dann hat der, der ins Paradies eingeht und dort der Jungfrauen teilhaftig wird, umso mehr Anrecht auf ein Fest. Mutter des Märtyrers, trockne deine Tränen! Gott hat deinem Sohn seinen Wunsch erfüllt, den Märtyrertod zu sterben!«
Er unterbrach kurz, dann holte er tief Luft und begann einen Hymnengesang, in den die Kämpfer hinter ihm einstimmten:
»Islam der Heldentaten, für dich geben wir unser Leben, auf unseren Köpfen sollst du schreiten zu neuen Siegen, dein durstiges Banner soll getränkt werden mit Blut!«
Ich betrachtete die Gesichter der Männer, erkannte aber Samer nicht unter ihnen. Ich sagte zu dem jungen Anführer: »Ich möchte meinen Sohn sehen.«
»Er ist vor zwei Tagen über die Grenze gegangen.«
»Er hat mich gestern angerufen und gesagt, er sei noch nicht losgefahren.«
»Das musste er tun, weil er befürchtete, das Gespräch würde abgehört.«
»Sag mir bitte die Wahrheit.«
»Ich schwöre, dass ich dich nicht anlüge.«
Die Rufer kamen jetzt erst richtig in Schwung:
»Für den Glauben steh’n wir ein, wir fürchten nicht, bedroht zu sein.«
»Bin Laden, du Held des Dschihad, wir schreiten auf deinem Pfad!«
»Abu Musab, du tapferer Herr, lass uns hören dein Gewehr!«
»Abu Musab, wir stehen bereit, wir werden dir folgen jederzeit!«
»Für den Glauben steh’n wir ein, wir fürchten nicht, bedroht zu sein.«
Ich fühlte mich elend und hatte Mühe, meinen Widerwillen zu zügeln. Ich sagte: »Dann werde ich ihn nie wiedersehen!«
»Das weiß nur unser Herr.«
»In ein paar Tagen werde ich Nachricht erhalten, dass er tot ist.«
»Das Leben liegt in Gottes Hand.«
»Usama bin Laden, Amerikas Feind! Mit der Macht des Glaubens und amerikanischen Waffen haben wir Amerika zerstört! Amerika zerstört!«
»Ein Flugzeug nur, mit aller Macht, hat aus den Türmen Staub gemacht, hat aus den Türmen Staub gemacht.«
»Zürne nicht, sieh dir diese Männer an! Das sind seine Brüder im Glauben an den Islam. Der die Parolen anstimmt, ist ein Jordanier aus Amman, die anderen sind Libyer, Saudis, Algerier, Marokkaner und Libanesen. Noch heute Nacht werden sie in den Irak gehen. Wie sie sich freuen! Und wie gerne würde ich mit ihnen gehen, denn sie werden nicht wiederkommen. Dies ist auch ihre
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