Gottes blutiger Himmel
Feier, es ist die Hochzeit dessen, der den Märtyrertod stirbt.«
»Sie nennen es Terror, es gereicht uns zu Ehren! Unser Terror ist der Auftrag unseres Herrn!«
»Unser Emir der Mullah steht fest im Glauben, und seinen Soldaten gibt Gott einen Lohn!«
»Allahu akbar!«
»Unser Pfad heißt Dschihad! Unser Pfad heißt Dschihad!«
Tränen traten mir in die Augen, aber ich hielt sie zurück. Zum Weinen würde ich noch früh genug kommen.
»Sei stolz auf deinen Sohn, Bruder!«
»Mein Sohn wird Selbstmord begehen.«
»Freue dich, anstatt zu trauern, wenn er den Märtyrertod stirbt. Und hab Geduld. Gott ist mit den Geduldigen. Aber ich kann dich beruhigen. Dein Sohn wird keine Märtyreraktion unternehmen.«
»Woher weißt du das?«
»Wir haben heute Nachricht bekommen, dass Gott ihn für eine größere Aufgabe ausersehen hat.«
»Al-Qaida, wir sind dein Heer! Lass Kanonen hören und Gewehr!«
»Irak, wir kommen, zu finden den Märtyrertod! Zu finden den Märtyrertod!«
Wollte er mir mein Elend versüßen? Was für eine größere Aufgabe sollte das denn sein? Wofür sonst wollten sie ihn einsetzen als dafür, dass er sich an einem amerikanischen Checkpoint in die Luft sprengte? Oder im Gebäude einer mit der Besatzung kollaborierenden Partei? In einer Polizeiwache? Ich war verzweifelt und fragte nicht weiter.
»Keine Gnade mit Amerikanern, keine Gnade mit Amerikanern!«
»Habt kein Erbarmen, bei Gott, bringt sie um!«
Mein Gesprächspartner erhob sich, seine Leute hatten zu Ende gefeiert. Die Kämpfer traten schweigend durch die Tür ins Freie und verschwanden durch die Bäume in der Schwärze der Nacht. Jetzt erhoben sich auch die Trauergäste einer nach dem anderen. Die Angehörigen des Toten nahmen ihre Beileidsbekundungen entgegen und unterdrückten die Tränen. Der Koranrezitator sang noch ein Bittgebet für Märtyrer.
Mir fiel etwas ein, was ich den Anführer der Kämpfer noch fragen wollte. Ich versuchte, ihm nachzulaufen, aber er war mit seinen Gefährten im Dunkel verschwunden.
11
Die Bedeutung mancher uns vertrauter Dinge erfassen wir erst nach dem Eintritt einer Katastrophe, die uns innerlich quält und um uns herum Unheil anrichtet. Samer war für mich nicht nur der Sohn, der meinen Namen trug oder für dessen Erziehung ich Sorge zu tragen hatte. Vielmehr war er ein untrennbarer Teil meiner Seele. Ich wünschte mir, ihn aufblühen und wachsen und mit einem Maß an Prinzipien durchs Leben wandeln zu sehen, ohne das kein Leben Sinn hatte. Das war mein Wunsch, damals, als ich noch viel erwartete und mindestens ebenso viel erhoffte. Dass mein Wunsch nicht in Erfüllung ging, war Teil einer Serie heilsamer Enttäuschungen, die ich erlebte. Ich war einer jener vielen, die sich dem Trug großer Erwartungen hingegeben hatten, als diese schon in ihren letzten Zügen lagen. Mein Wunschdenken hatte keine Früchte gezeitigt. Ich hatte noch nicht begriffen, dass mein vermeintliches Lebensprojekt gescheitert war oder kurz vor seinem Ende stand. Ich war – wie so oft – davon ausgegangen, dass es nur ins Stocken geraten war und wir uns von diesem Rückschlag umso entschlossener wieder erheben würden. Die Massen würden bald wieder auf die Straßen gehen, und die Avantgarde würde ihre Reihen schließen, um die Unterdrückten erneut zu einem Gegenangriff zu führen oder sie zu irgendetwas nach der Art dessen zu bewegen, was uns die optimistischen roten Bücher eingeimpft hatten. Es bedurfte einiger Zeit, bis wir begriffen, dass die Massen gar nicht so konnten, wie sie wollten, und dass die Geschichte gegen uns stand. Unsere Niederlage war komplett und weltumspannend.
Es folgte eine Phase, die eine Flucht aus sichergeglaubten Wahrheiten in willkürliche Absagen an dieselben war. Es war eine späte Lektion, der ich entnahm, dass Freiheitwertvoller sei als Brot und Gerechtigkeit und dass Unterschiede zwischen den Menschen eine unumstößliche Wahrheit seien, die man hinzunehmen hatte, damit das Leben so brutal weitergehen konnte wie bisher und wir nicht glückseligen Träumen und verrückten Ambitionen anheimfielen. Und da wir ja zur Herde gehörten, sollten wir auch nicht Gleichberechtigung für uns in Anspruch nehmen, sondern vielmehr die Ausbeutung neu bewerten, ja an sie glauben, denn sie allein gewährte der Welt ihren korrupten Überfluss und ihre ziellose Geschäftigkeit. Die Benachteiligten sollten sich mit Jammern und Neid begnügen, wahlweise mit Kriminalität oder Rache.
Ich war nicht verbittert.
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