Gottes blutiger Himmel
zu sagen. Er wolle mit uns allen sprechen. Vor kurzem habe er noch einmal angerufen und versprochen, sich wieder zu melden. Sie mache sich Sorgen, weil sein Tonfall sie beunruhigt habe. Das Herz einer Mutter ist ihr Kompass. Diesen Spruch hatte Nuha immer wiederholt, und diesmal lag sie damit richtig.
Ich bat sie, sich zu beruhigen, umarmte meine Tochter Nada, die es eilig hatte, zur Universität zu kommen, und flüsterte ihr ins Ohr, sie solle bitte noch warten. Meine Frau nutzte unser Warten auf den Anruf, um mir Vorwürfe zu machen, ich hätte Samer vernachlässigt und dieser rebelliere nun, um damit gegen unsere Trennung zu protestieren. Ich hoffte, sie hätte richtig geraten. Ich sagte ihr nicht, dass er uns mit der Reise angelogen hatte und dass die Dinge, wenn der Offizier recht behalten sollte, viel schlimmer standen, als sie dachte. Ich lenkte mich ab, indem ich überlegte, was ich Samer gleich am Telefon sagen würde. Wenigstens müsste ich erfahren, wo er gerade war, und ihn auffordern, sofort nach Damaskus zu kommen. Kurz darauf klingeltedas Telefon, und Samer sprach mit seiner Mutter. Anscheinend sagte er ihr, er würde längere Zeit verreisen; sie protestierte vergeblich gegen sein Verhalten. Perplex übergab sie den Hörer an Nada. Auch sie sprach mit ihm, dann reichte sie den Hörer an mich weiter. Nada war nicht weniger verwirrt und verwundert als ihre Mutter.
»Wo bist du?«, begann ich das Gespräch. Samers Stimme klang fest, er sagte:
»Vater, ich will offen zu dir sein. In Kürze werde ich im Irak sein und dort als Mudschahid mit meinen muslimischen Brüdern gegen die amerikanische Besatzung kämpfen. Ich wünsche mir, als Märtyrer zu sterben. Steh meiner Mutter zur Seite, und möge Gott dich auf den rechten Weg führen. Kümmert euch um Nada, und fasst euch in Geduld.«
Es war keine wirkliche Überraschung mehr, aber der Schock war schrecklich. Ich begriff nun, dass Samer sich ausbedungen hatte, als Märtyrer zu sterben. Mich überkam Schwindel, fast glitt mir der Hörer aus der Hand. Mit Mühe nahm ich mich zusammen und wiederholte meine Frage: »Samer, sag mir die Wahrheit, wo bist du?«
Er sprach so schnell und entschlossen wie vorher weiter: »Wenn euch die Nachricht von meinem Tod erreicht, weint nicht um mich und haltet keine Trauerfeier ab, denn das ist Sünde.«
Dann legte er auf. Meine Füße konnten mein Gewicht nicht mehr tragen. Ich stützte mich an der Wand ab und sank aufs Sofa. Keuchend stieß ich hervor: »Samer will in den Irak gehen!«
Nuha wollte nicht verstehen oder glauben, was sie von mir gehört hatte. Als hätte ihr Verstand ausgesetzt, wiederholte sie nur unter Tränen, was Samer zu ihr gesagt hatte: Sie und Nada sollten Kopftuch tragen und keinem Mann die Hand geben. Sie solle ihm wohlgesinnt bleiben und für ihn beten.Als sie ihn verwundert gefragt hatte, warum sie für ihn beten solle, denn das habe sie immer getan, habe er geantwortet: »Halte dich auf Gottes Weg und weine nicht, denn dein Wohlwollen ist mein Weg ins Paradies.« Sie sah mich fragend an. Ich sagte: »Er hat einen anderen Weg ins Paradies gewählt.«
10
Am nächsten Morgen war ich auf dem Weg Richtung Euphrat. Die Strecke führte über Palmyra und war länger, als ich mir vorgestellt hatte. Dann hatte der Bus auch noch eine Panne. Über eine Stunde standen wir schwitzend an der Straße, während der Fahrer und sein Assistent am Kühler des Busses herumschraubten. Sie wollten den Keilriemen auswechseln, vielleicht war auch noch mehr kaputt. Erst am späten Nachmittag war ich in Deir az-Zor, wo ich in einem Restaurant voller Fliegen so etwas wie ein Fleischsandwich aß. Danach fuhr ich weiter Richtung Albukamal in der Nähe der irakischen Grenze. Dutzende Möglichkeiten, was nun passieren könnte, stürzten durch meinen Kopf, eine schlimmer als die andere. Ich versuchte, die nutzlose Zeit während der Fahrt dazu zu verwenden, meine Gedanken zu ordnen, aber die anstrengenden und zähen Stunden bei dem gedämpften, eintönigen Dröhnen des Busses über Hunderte von Kilometern durch trostlose Landschaft ließen meinen Geist immer wieder abschweifen. Am Busbahnhof von Albukamal nahm ich mir ein Taxi, statt auf den Kleinbus nach Dawwasa zu warten. Nach einer knappen halben Stunde war ich da.
Das Dorf Dawwasa an der syrisch-irakischen Grenze war ein heimlicher Treffpunkt für Dschihad-Freiwillige, die Schleuser bei Nacht in Gruppen von höchstens vier oder fünf Personen auf die andere Seite der
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