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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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lieber nicht erfahren, was ich nun wusste, aber ich, nicht der Andere, musste nun auch herausfinden, was danach passiert war. Ich würde mich nicht mehr hinter dem Anderen verstecken. Das Spiel »Ich oder der Andere« war aus. Es gab nur noch mich. Die Kettenreaktion war nicht mehr aufzuhalten. Noch mühte ich mich, die Ereignisse so vorsichtig wie möglich aus meiner Erinnerung hervortreten zu lassen, aber wozu war dies nun noch gut?
9
    Hassan und ich hatten das Büro des Geheimdienstes verlassen. Mir schien, dass der Offizier nicht übertrieben hatte. Alles, was ich über al-Qaida wusste, stimmte mit dem, was ich gehört hatte, überein. Was ich aber nach wie vor in Zweifel zog, war, dass Samer sich al-Qaida anschließen könnte. Die meisten, die die Organisation in ihre Reihen aufnahm,waren junge Saudis, Marokkaner und Algerier. Der Libanon war für sie nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in den Irak; in den Libanon kamen sie auf der Flucht vor den Behörden ihrer Länder, um hier eine militärische Ausbildung zu erhalten, mithilfe derer sie ihre Dschihad-Karriere fortsetzen konnten. Sie spendeten alles, was sie bei sich trugen oder gespart hatten, um gleich als Freiwillige für Märtyreraktionen rekrutiert zu werden, ohne erst monatelang auf der Warteliste zu stehen.
    Bevor wir auf die Mazze-Stadtautobahn einbogen, schlug Hassan vor, meine Frau Nuha im Stadtteil al-Misat zu besuchen, wo sie seit unserer Scheidung mit den Kindern wohnte. Ich war dagegen und fand, sie sollte es zunächst noch nicht erfahren. »Vergiss nicht, dass sie Samers Mutter ist«, beharrte Hassan.
    Ich erinnerte mich an eine E-Mail-Korrespondenz zwischen ihr und mir im vergangenen Jahr. Ich war darüber gekränkt, dass Samer mir nicht mehr schrieb. Ich spürte, dass er mir etwas verheimlichte, und fragte daher seine Mutter, wo er seine Zeit verbringe, aber sie drückte sich um eine Antwort. Sie wolle es mir nicht sagen, weil wir sonst angeblich streiten würden. Als ich nicht lockerließ, mailte sie mir, dass Samer mir nicht mehr schreibe, um mich nicht anlügen zu müssen. Er sei fromm geworden und habe seine bisherige Clique verlassen. Er faste im Ramadan und halte die Gebete ein, und er überlege, die Kleine Wallfahrt nach Mekka zu machen. Sie hoffe, mich störe seine neue Religiosität nicht. Ich hatte bereits bemerkt, dass sie selbst religiös geworden war. Sie wiederholte des Öfteren ihre neue pädagogische Ansicht, dass Religion junge Leute vor Sittenverfall schützen könne. Ich fand dies zwar nicht völlig falsch, aber es begeisterte mich auch nicht.
    Nuha hatte ihre progressiven Ideen abgelegt und handelteihren eigenen Aufrufen zur Befreiung der Frau zuwider, nur um ihren Sohn nicht an eine jener emanzipierten jungen Frauen zu verlieren, die sie selbst immer verteidigt hatte und wie sie selbst einmal eine gewesen war. Sie hatte damals Mut bewiesen, indem sie an Symposien zur Unterstützung misshandelter Frauen teilnahm, Unterschriften für sie sammelte und ihre Geschlechtsgenossinnen bei Diskussionen mit männlichen Genossen verteidigte.
    Ihre jüngsten Wandlungen waren ein Beispiel dafür, wie tief unsere Beziehung in ihrer letzten Phase gesunken war, und einer der Gründe, die zu unserer Trennung geführt hatten. Wir hatten dieselbe politische Phase und dieselbe Niederlage erlebt, aber während ich sie überwand, indem ich mir ein recht indifferentes und leidenschaftsloses Weltbild aufbaute, hielt meine Frau zunächst starr an alten Grundsätzen fest, nur um sie alsbald ins Gegenteil zu kehren. Sie modifizierte ihren Standpunkt zu Tradition und Befreiung und erfand ihren Glauben in einer Weise neu, die man als eine Mischung aus vulgärer, unhinterfragter Frömmigkeit und einer ordentlichen Prise Offenheit für Aberglaube im Sinne von Tierkreiszeichen, Schicksalsglaube und Traumdeutung sowie ein wenig Spiritualität in Gestalt von Amuletten gegen Dschinne und Kobolde bezeichnen konnte, ohne dass sie dabei die Einforderung von Frauenrechten ganz aufgab. Letzteres war in Wirklichkeit nur noch Ausdruck ihres ausgeprägten Wunsches, Männer zu beherrschen und zu kontrollieren, um sie damit auf ihr angeblich natürliches Maß zu reduzieren. Ihr gedanklicher Umschwung war umfassend und in seiner Mischung widersprüchlich. Dennoch gelang es ihr, diese Widersprüche miteinander zu versöhnen, indem sie glaubte, mit alldem auf der sicheren Seite zu stehen und dass es ja nicht schaden könne, gleich welch unverblümt reaktionären

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