Gottes erste Diener
ihnen Schwangere
und Alte. Eine Frau, die in einem Armeewagen fortgebracht wurde, lag in den
Wehen. Ein Paar mit zehn Kindern war bei denen, die zur Militärakademie
gefahren wurden. In der ersten Nacht dort kamen zwei Frauen nieder. Zwei Tage
später, am 18. Oktober, wurde das ganze Kontingent von über tausend Juden zur
Bahnlinie transportiert und in versiegelte Viehwagen gesperrt. Der Zug fuhr um
14.05 Uhr ab. Sie fuhren nordwärts, durch Orte, Chiusi, Florenz, Bologna und
über die deutsche Grenze. Sie fuhren nach Auschwitz.
Bischof Hurdal, das Oberhaupt
der deutschen Kirche in Rom, erkannte, daß die Razzia ein Schlüsselmoment war,
und ließ das deutsche Kommando wissen, die Verhaftungen von Juden müßten
aufhören. Andernfalls müßte der Papst »offen Stellung beziehen, was der
antideutschen Propaganda als Waffe gegen uns dienen wird«. Auch der deutsche
Botschafter war tief besorgt. Juden, berichtete er nach Berlin, wurden
praktisch unter dem Fenster des Papstes ergriffen. Er würde wie viele
französische Bischöfe keine andere Wahl haben, als gegen die deutsche Politik
zu protestieren.
Diese Befürchtungen erwiesen
sich als grundlos. Pius XII. sagte gar nichts. Als der amerikanische Diplomat
Harold Tittman drei Tage später zur Audienz empfangen wurde, erwähnte der Papst
die Juden nicht. Seine Sorge galt den kleinen kommunistischen Zellen, die in
Rom verstreut waren.
Die Nazis waren verblüfft; sie
konnten ihr Glück nicht fassen. Das ermutigte sie, ähnliche Maßnahmen in
Florenz, Venedig, Ferrara, Genua und Fiume durchzuführen. Innerhalb von sechs
Wochen wurden zehntausend Juden zusammengetrieben und nach Auschwitz gebracht,
wo 7550 von ihnen starben. Die Italiener gaben so vielen Juden wie möglich
Unterschlupf. Das war deshalb leichter, weil die Juden nicht soviel anders aussahen
als sie. Ermutigt durch den Heiligen Stuhl beteiligten sich Kirchen, Konvente
und Klöster; ein paar Juden kamen im Vatikan unter.
Im Dezember 1943 wurde den
Juden formell die italienische Staatsbürgerschaft aberkannt. In einer Razzia
wurden 650 römische Juden verhaftet, in einer weiteren 244. Unter den 335
Geiseln, die im März 1944 in den Höhlen von Ardea erschossen wurden, waren
siebzig Juden. Diese Zahl stellte eine Vergeltung im Verhältnis von Zehn zu
Eins für deutsche Polizisten dar, die in einem Hinterhalt vom Widerstand
erschossen worden waren, wobei fünf fast aus Versehen getötet wurden.
Unter den ersten Geiseln, die
in den Hinterkopf geschossen wurden, war Dominico (sic) Rici, ein
fünfunddreißigjähriger katholischer Angestellter und Vater von fünf Kindern. In
seiner Tasche fand man danach einen in Blockbuchstaben gekritzelten Zettel:
»Mein lieber Gott, wir bitten Dich, die Juden vor den barbarischen Verfolgungen
zu schützen. Ein Vaterunser, zehn Ave Marias, ein Ehre sei dem Vater.« Mit Rici
starben sechs Juden namens De Consiglio: drei Brüder, ihr Vater, Großvater und
Onkel. Robert Katz schreibt in seinem Buch Death in Rome :
Ein
Wunder war nicht nötig, um die 335 Männer zu retten, die in den Höhlen von
Arden sterben mußten. Es gab einen Mann, der sie hätte retten können und der
dafür verantwortlich gemacht werden muß, daß er nichts getan hat, um das
deutsche Massaker wenigstens aufzuhalten. Es ist Papst Pius XII.
Der Papst wußte von Dollmann,
dem SS-Chef in Rom, über den deutschen Salvatorianerpater Pankratius, daß es
ein Blutbad geben würde. Doch die Sympathien des Papstes waren gemischt. Er
glaubte, der Angriff auf die deutschen Kräfte durch den Widerstand sei das
größere Verbrechen, weil es nicht provoziert worden war. Der Tag des Massakers fand
ihn in Audienz mit den Kardinälen des Heiligen Offiziums und bei der
Vorbereitung für seine Fastenexerzitien.
Das Massaker wurde im
unabhängigen Radio Vatikan nicht berichtet.
Wenn nur der Papst die
Verhaftung riskiert hätte, indem er den Judenstern trug, oder wenn er nur
einmal gesprochen hätte, um dem jüdischen Volk zu sagen, daß es in seiner Qual
nicht allein war.
Weit entfernt beklagte einer
der Führer des polnischen Aufstandes das Schweigen aller Staatsmänner. Er fand
es »erstaunlich und schrecklich«. Seine Botschaft lautete: »Die Welt schweigt.
Die Welt weiß — es ist unmöglich, daß sie nicht weiß — aber die Welt schweigt.
Gottes Stellvertreter im Vatikan schweigt.«
Das römische Grauen endete am
5. Juni 1944, als die Alliierten die Stadt befreiten. Der Militärkaplan
entfernte die Siegel,
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