Gottes erste Diener
Millionen der Ermordeten waren
ebenso Polen wie Juden.
Als Kantor und Chor das Ani
Ma’amin sangen, das Glaubenslied der Juden auf dem Weg zum Tod, waren die
Gedanken vieler an jenem Frühlingstag in Bergen-Belsen, Dachau und Treblinka.
Am Ende der achtzigminütigen
Zeremonie in der Synagoge am Tiber gab es überwältigende Gründe dafür wie auch
dagegen, zusammen zu beten, und so beteten Papst und Rabbi zusammen —
schweigend. Dann vergaßen Jude und Nichtjude das Protokoll und die tiefe
religiöse Trennung, dachten nur an ihr gemeinsames Menschsein und umarmten
sich. Wieder brach die Versammlung in Beifall aus. Den Staat Israel hatte der
Papst nicht einmal erwähnt. Das, erklärte ein Berater später, sei eine
politische Frage. Eine seltsame Zurückhaltung bei einem Oberhirten, dessen
Vorgänger begierig waren, den Kirchenstaat zu bekommen und zu behalten. Doch
die wenigen, die in diesem geheiligten Augenblick die Juden der Welt
repräsentierten, wußten, daß Johannes Paul, wenn auch nur bescheiden und
indirekt, einen Teil der Schuld an den unaufhörlichen Tragödien ihres Volkes,
die im Holocaust gipfelten, angenommen hatte.
Die lange harte Behandlung der
Juden durch die Päpste war das Ergebnis einer schwerwiegenden Mißdeutung des
Evangeliums. Denn selbst nach der kirchlichen Deutung des Kreuzes waren es
nicht nur Juden, die insgesamt oder teilweise für die Kreuzigung verantwortlich
waren, sondern die Sünden der Welt, d. h. die Sünden der ganzen Menschheit.
Durch die Verfolgung der Juden versuchten die Christen vielleicht, ihrer
eigenen Schuld zu entkommen. Wenn sie die Juden zu Sündenböcken machten, so
vielleicht deshalb, weil sie es den Juden nie hatten verzeihen können, daß sie
ihnen einen so heiligen und fordernden Heiland gegeben hatten.
Die meisten Historiker würden
mit der prophetischen Anklage übereinstimmen, die Henry Charles Lea im letzten
Jahrhundert im ersten Band seiner History of the Inquisition in Spain erhob:
Die
Kirche lehrte, daß außer Mord keine Strafe, kein Leid, keine Schmähung zu
schlimm für die Nachkommen derer sei, die sich geweigert hatten, den Messias
anzuerkennen.... Es ist nicht zuviel zu sagen, daß die Kirche für das unendliche
Unrecht, das den Juden im Mittelalter geschehen ist, und für die Vorurteile,
die noch heute vielerorts grassieren, hauptsächlich, wenn nicht vollständig
verantwortlich ist.
Ist es zu hart, das, was viele
römische Oberhirten über Juden sagten und wie sie sie behandelten, als Häresie,
Ketzerei zu bezeichnen?
12. Kapitel
Päpstliche Ketzer
»Viele römische Oberhirten
waren Häretiker.« Für Katholiken klingt dies wie ein
Zitat von einem bigotten Protestanten. Ein häretischer Papst scheint ein
Selbstwiderspruch wie ein quadratischer Kreis. Das Erste Vatikanische Konzil
hat gesagt, daß der Papst der unfehlbare Richter der Rechtgläubigkeit ist, ohne
die Zustimmung der Kirche zu benötigen. Es ist ja wohl undenkbar, daß ein Papst
wie Johannes Paul II. sich von der Wahrheit und deshalb von der Kirche trennen
könnte, indem er in Häresie verfiele?
Das Zitat ist tatsächlich nicht
von einem Protestanten, sondern von Papst Hadrian VI. aus dem Jahr 1523.
Wenn
man mit der römischen Kirche ihr Oberhaupt oder den Papst meint, so steht außer
Frage, daß er in Dingen, die den Glauben berühren, nie irren kann. Er tut es,
wenn er nach seinem eigenen Urteil oder Dekret Häresie lehrt. In Wahrheit waren
viele römische Oberhirten Häretiker. Der letzte von ihnen war Papst Johannes
XXII. (1316—1334).
Die Themen päpstliche Ketzer
und von der Kirche exkommunizierte Päpste waren in der Theologie einmal üblich,
doch seit 1870 hat man wenig darüber gehört. Selbst der großmächtige Innozenz
III. räumte ein: »Ich kann von der Kirche beurteilt werden, was Glaubensdinge
betrifft.« Innozenz IV. beanspruchte zwar, jedes Geschöpf sei ihm als
Stellvertreter des Schöpfers untertan, doch er gab zu, daß man einer
päpstlichen Äußerung, die häretisch sei oder die Einheit der Kirche gefährde,
nicht zu gehorchen habe. »Natürlich«, sagte er, »kann ein Papst in
Glaubensdingen irren. Deshalb sollte niemand sagen, ich glaube das, weil der
Papst es glaubt, sondern weil die Kirche es glaubt. Wenn er der Kirche folgt, wird
er nicht irren.« Aus irgendeinem Grund sind diese Worte, die im Originaltext
des Kommentar zum Dekalog von Innozenz IV. erscheinen, aus späteren
Ausgaben herausgenommen. Der
Weitere Kostenlose Bücher