Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
ein aufgeblähtes Ego.«
»Unterschätze niemals ein Ego.«
Lillis Gesicht wurde schlaff. Sie legte sich aufs Bett und ließ den Kopf aufs Kissen sinken. Paul wusste, dass sie in anderer Hinsicht zu demselben Schluss gekommen war wie er. »Unabhängig davon, was das alles noch bedeuten könnte«, meinte sie, »bedeutet es ganz gewiss vor allem eins.«
Paul nickte, sagte aber nichts.
»Es bedeutet, dass er uns niemals gehen lassen wird.«
41
Paul ging über den vereisten Fluss, ein Band aus endlosem Weiß. Die Äste der Bäume hoben sich schwarz vor dem fahlweißen Winterhimmel ab. Das Mädchen war irgendwo vor ihm, das wusste er, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Sie war hinter der Biegung, schon außer Sicht. Er folgte ihren Spuren im Schnee. Obwohl es unvernünftig war, lief er. Das Eis knackte wie Schüsse, aber das bedeutete, es war sicher. Dann jedoch veränderte sich das Geräusch, erstarb. Es knarrte wie altes Leder. Paul bog um die Biegung des Flusses, den Namen des Mädchens auf den Lippen. Doch als er sich suchend umsah, sah er kein Mädchen. Nur ein Loch im Eis, in das sie gestürzt war.
Paul öffnete sein Auge und drehte den Kopf zur Tür. Er stieß Lilli an, die erschreckt hochfuhr. Er begriff, dass sie in ihrem eigenen Traum verloren gewesen war.
Paul schwang seine Beine aus dem Bett und ging zur Tür. »Ja?« Er sprach durch das dicke Holz.
Er hörte einen Schlüssel im Schloss, und einen Moment später schwang die Tür auf.
Es war der Wachmann. Derselbe Hüne, der sie gestern geholt hatte. Er steckte nur den Kopf ins Zimmer. »Frühstück in zehn Minuten«, erklärte er, zog den Kopf zurück und schloss die Tür. Der Schlüssel klapperte.
»Frühstück?«, erkundigte sich Lilli verdutzt.
Sie duschten rasch und zogen sich an.
Zehn Minuten später tauchte der Wachmann wieder auf . Er führte sie durch den Flur und eine Treppe hinab, die zu einer Außenveranda führte. Der alte Mann saß bereits dort, an einem riesigen Tisch mit einem weißen Tischtuch und etlichen Schüsseln mit verschiedenen Früchten.
»Kaffee?«, fragte er.
Paul nickte, während er sich setzte. »Danke, gern.«
Ein Bediensteter erschien aus dem Nichts und schenkte den dreien Kaffee ein. Dann verschwand er ebenso schnell wieder hinter einer Hecke, welche die Veranda vom Rest des Außengeländes trennte.
»Lillivati Gajjar«, meinte der Alte. »Ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Frau. Sie sind zweisprachig aufgewachsen. Sie haben zusammen mit Paul das College besucht und Primatologie studiert. Bis vor Kurzem waren Sie als Forscherin in einem Museum beschäftigt.«
»Das bin ich immer noch«, sagte sie.
»Sie haben in den Vereinigten Staaten gelebt«, fuhr Martial unbeirrt fort, »in Sri Lanka und in Indien. Sie sind geschieden. Sie haben sich als Dozentin versucht, aber Ihr Vertrag wurde nicht verlängert.«
»Er wurde nicht verlängert, weil ich kein Interesse hatte.«
»Wirklich nicht? Waren Sie nicht interessiert, oder war Ihr Arbeitgeber nicht interessiert?«
Sie blieb stumm.
»Und jetzt holt Paul Sie mit an Bord«, fuhr der Alte fort. »Manche Mädchen haben wirklich Glück. Sagen Sie mir, was halten Sie von alldem?«
»Ich nehme an, das werden Sie mir als Nächstes verraten.«
Johansson lachte. »Sie sind wirklich eine Überraschung, das muss ich zugeben. Manchmal bin ich mir selbst nicht sicher, was ich von der Arbeit hier halten soll, aber von einer Sache bin ich überzeugt. Wir leisten hier Großes. Dinge, die da draußen nicht bewerkstelligt werden können, wo neugierige Augen alles sehen und beurteilen.«
»Weil man Ihr Unternehmen dichtmachen würde«, ergriff Paul zum ersten Mal das Wort.
»Manchmal gehen Dinge schief«, antwortete Martial. »Das stimmt. Und es gibt natürlich genug Leute, die das als Vorwand benutzen würden, um unsere Arbeit zu beenden.«
»Was haben Sie mit uns vor?«, erkundigte sich Lilli.
»Was ich mit Ihnen vorhabe?« Der alte Mann beugte sich nach vorn. Seine Miene war ernst. »Ich will ehrlich sein, ich hatte vor, Sie zu töten. Aber wir haben hier nicht viele Besucher, wie Sie sich vielleicht vorstellen können.«
Der alte Mann lehnte sich wieder zurück. Er schien seine Frühstücksgäste zu betrachten. »Und außerdem habe ich gewisse Bedenken, was Paul angeht. Sie müssen wissen, ich kannte seinen Vater. Deshalb befinde ich mich sozusagen in einem Konflikt. Ich bin kein schlechter Mensch – wirklich nicht. Ich bin nur sehr effizient, und manchmal
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