Gottes Gehirn
seinerseits zornesrot auf und nannte Lansky einen seelenlosen Wissenschaftskrüppel. Daraufhin stieg Lansky vom Podium herunter und lief direkt auf Kranich zu. Ich glaube, alle dachten, jetzt gehen die beiden mit den Fäusten aufeinander los. Stattdessen zückte Lansky eine der Elektrozangen, die er immer bei sich trägt, hielt sie Kranich vor die Nase und rief: En Garde! Wir haben das erst für einen Witz gehalten, es war irgendwie komisch. Doch was dann kam, war gar nicht mehr komisch: Ganz unvermittelt spuckte Lansky Kranich ins Gesicht. Das müssen Sie sich mal vorstellen: Ein weltberühmter Wissenschaftler spuckt einem anderen ins Gesicht. Es
war beschämend, es war demütigend. Für uns alle!“
„Kranich ist tot“, sagte Jane unvermittelt. Troller zuckte zusammen. Gespannt betrachteten sie beide Blakes Gesicht.
„Wie bitte?“, fragte Blake, als habe er den Satz nicht verstanden. „Kranich ist tot“ wiederholte Jane.
Blakes Gesicht wurde aschfahl. Er schluckte, schien nach Luft zu ringen. Mit krächzender Stimme sagte er: „Ich . . . ich hatte doch gerade noch . . .“ Er biss sich auf die Lippe, seine rechte Hand zitterte.
Er führte sie zum Kopf, als ob er sich wieder durchs Haar streichen wollte, und ließ sie dann auf halber Höhe stehen. „Das kann nicht sein“, stammelte er.
„Wie ist er gestorben?“
„Er ist nach einem Vortrag tot aufgefunden worden“, sagte Jane, „unter einer Brücke.“
„Es ist sogar möglich, dass er ermordet wurde“, sagte Troller.
„Ermordet?“ Blakes Gesicht war so bleich, sein Ausdruck so fassungslos, als hätte er gerade das Haupt der Medusa gesehen. „Ich verstehe das nicht“, murmelte er. „Er war ein Freund. Er hat immer zu mir gehalten.“ Hilflos sah er Troller und Jane an. „Wissen Sie, Kranich war einer der wenigen, die damals erkannt haben, welch einmalige Chance in meinem Projekt lag. Und er war der erste, der sich bereit erklärte mitzumachen.“
„Es gibt ja noch jemanden aus dem Kreis Ihrer Konferenzteilnehmer, der unter merkwürdigen Umständen verstorben ist“, sagte Jane. Blake nestelte nervös an seiner Krawatte. „Bitte, ich möchte jetzt nicht weiter darüber reden.“
„Das Mysteriöse ist, dass ihm das Gehirn fehlte“, fuhr Jane unbeirrt fort, und Troller ergänzte: „Wer wäre in der Lage, eine so präzise Ektomie vorzunehmen? Und wozu könnte das dienen?“ Blake wirkte immer noch so, als hätte ihn die Nachricht von Kranichs Tod völlig aus der Bahn geworfen: „Eklunds Tod war furchtbar“, sagte er. „Aber woher soll ich wissen, wer ein Interesse daran hatte? Es gibt in diesem Lande die abstrusesten und grausamsten Verbrechen.
Wir leben in einer schrecklichen Zeit.“
„Und Jeffrey Freeman kam bei einem Autounfall ums Leben“, sagte Jane.
„Ich verstehe nicht“, sagte Blake verwirrt.
„Wir fragen uns, ob es zwischen diesen Todesfällen einen Zusammenhang gibt.“
„Aber das ist doch absurd“, sagte Blake mehr zu sich selbst als zu Jane und Troller. „Vollkommen absurd. Nein. Nein. Was für eine schreckliche Zeit, in der wir leben.“ Er schaute auf die Uhr. „Sie müssen mich jetzt entschuldigen, ich habe noch einen Termin und muss mich vorher ein wenig hinlegen. Das alles ist, Sie werden das verstehen, zu viel für mich. Kranich – wissen Sie, er war ein sehr guter Freund. Unersetzlich.“
Er hatte Tränen in den Augen.
„Es tut uns Leid, dass wir Ihnen diese Nachricht überbringen mussten“, sagte Troller, dem nun auch beinahe die Tränen kamen, „Kranich war auch ein Freund von mir. Vielleicht sogar mein einziger.“ Blake kam auf Troller zu und gab ihm stumm die Hand. Es war eine Kondolenzgeste wie auf einer Beerdigung. Als ob der Tote neben ihnen im noch offenen Grab läge. Ashes to ashes.
„Noch eine Frage“, sagte Jane nüchtern.
„Ich bitte Sie“, sagte Blake hilflos. „Ich kann jetzt wirklich nicht mehr.“
„Eine letzte Frage“, sagte Jane halb bittend, halb insistierend. Blake fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Also gut“, sagte er.
„Woran arbeiten sie zur Zeit?“
„Woran ich zur Zeit arbeite?“ Er sah Jane an, als müsse er erst mühsam in seinem Gedächtnis kramen. „Nun“, sagte er mit gedehntem Tonfall, „ich weiß nicht, ob man das Arbeiten nennen kann. Ich habe mich ja aus der Scientific Community zurückgezogen. Ich verwalte da oben in den Bergen eine kleine Ranch. Wir züchten Rinder, und ab und zu gewinnen wir einen Preis. Es ist ein sehr, sehr schönes Leben nach
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