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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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auch immer schon gewesen. Verstehen Sie?“
In diesem Augenblick war von der Küche her ein wildes Kreischen zu hören. Die Gäste im hinteren Teil des Lokals waren in Panik aufgesprungen und schlugen mit bloßen Händen, mit Speisekarten oder Servietten wie wild auf ihren Armen und Beinen herum. Und jetzt sah Troller es auch: Wolken von Termiten brachen durch die Küchenwand des Hauses hindurch, flogen auf die Lampen und die Ventilatoren zu und wurden in dicken Trauben durch die Luft gewirbelt. Es mussten Zehntausende, Hunderttausende sein.

COTTON FIELDS
     
    „Du warst mal Gitarrist“, fragte Jane und schaute ihn durch ihre Schmetterlingssonnenbrille an, „und hast so richtig auf der Bühne gestanden? Wie alt warst du da?“
    „Siebzehn“, sagte Troller und drehte das Radio lauter. Sie fuhren im pinkfarbenen Cadillac mit offenem Verdeck durch die Ausläufer des Mississippi-Deltas, vorbei an den majestätischen Herrenhäusern aus der Gründerzeit.
    Troller warf einen Kontrollblick in den Rückspiegel. Ja, es sah ganz so aus, als hätten sie mit ihrem Ablenkungsmanöver Erfolg gehabt. Nach dem hastigen Aufbruch aus dem Restaurant waren sie direkt zum Flughafen gefahren, hatten ihren Mietwagen abgegeben und die Flugtickets abgeholt. Dann hatten sie ordnungsgemäß nach Frankfurt eingecheckt, hatten einen Kaffee getrunken und sich getrennt. Natürlich mussten sie damit rechnen, beobachtet zu werden, aber wenn es nur einer war, dann hatte der wenigstens ein Entscheidungsproblem. Troller hatte sich erst einen Cowboyhut gekauft und dann den Cadillac gemietet, Jane hatte auf irgendeine Weise die Sache mit dem Gepäck geregelt. Wie es ihr in der kurzen Zeit gelungen war, ihr Outfit zu verändern, war ein Rätsel. Sie trug jetzt ein weißes Kopftuch mit schwarzen Punkten, einen pinkfarbenen Pulli und darunter hautenge Jeans, aus denen Stilettos mit gefährlich spitzen Pfennigabsätzen herausragten. Ihr Chiffon-Schal flatterte im Fahrtwind und fächerte Troller gelegentlich einen Hauch Opium zu. Nein, sie sahen nicht mehr aus wie zwei deutsche Journalisten auf der Suche nach den Mördern von Eklund, Kranich, Freeman und Lansky, sondern eher wie ein Paar aus dem Elvis-Fanclub, das seine Flitterwochen in Memphis verbringen wollte.
    Im Radio sang B. B. King The Thrill is gone .
„Kennst du den eigentlich?“, fragte Troller und warf erneut einen Blick in den Spiegel. „B. B. King?“
„Erzähl mir von ihm.“
„Er ist der King of Blues.“
„Was habt ihr bloß alle mit dem Blues?“, sagte Jane. „Das ist doch immer dasselbe: Zwölf Takte, drei Akkorde und depressive Texte. The Thrill is gone – hör dir das doch an.“
    „Der Blues ist ein Geheimnis“, sagte Troller. „Und Geheimnisse sind nie so einfach, wie sie aussehen.“
„Oh“, sagte Jane. Sie schob ihre Brille auf die Nasenspitze und sah Troller über die getönten Gläser hinweg an. „Und was ist das Geheimnis?“
„Vielleicht das Existenzielle. Die Musik als Trost, als letzte Rettung. B.B. King zum Beispiel hat nur überlebt, weil er die Musik hatte. Er war noch ein kleines Kind, als seine Mutter starb und sein Vater ihn im Stich ließ. Er musste schon im Alter von sieben Jahren für sich selbst sorgen. Aber der Reverend seiner Gemeinde hat ihm eine Vision gegeben.“
„Welche?“
„Er hat gesagt: Die Gitarre ist ein kostbares Instrument. Mit ihr kann man die Liebe Gottes zum Ausdruck bringen.“
Hinter ihnen war jetzt ein grüner Chrysler aufgetaucht.
„Aber in diesen Songs geht es doch um Sex und solche Sachen.“
„Was hast du gegen Sex und solche Sachen?“
„Nichts. Ich dachte nur, Gott oder der Reverend müssten was dagegen haben. Hat B. B. King nicht sogar neun Kinder von neun verschiedenen Frauen?“
„Fünfzehn Kinder von fünfzehn verschiedenen Frauen.“
„Oh, Entschuldigung, ich wollte ihm nicht unrecht tun.“
„Aber einer ist er treu geblieben.“
„Nein, sag’s nicht. Ich weiß schon, was kommt.“
„Lucille“, sagte Troller. „Und weißt du, wer das ist?“
„Seine Gitarre“, sagte Jane pathetisch. „Niemals ging er ohne sie ins Bett.“
„Ich glaube, du hast kein Herz.“
„Für Männer, die ihre Gitarren Lucille nennen? Sag bloß, deine Gitarre hatte auch einen Namen.“
„Natürlich.“
„Welchen?“
„Jane.“
„Ach, wirklich? Ungelogen?“
„Aber ja.“
„Schade“, sagte Jane, „gelogen wär’s noch netter gewesen.“
Der Chrysler war jetzt von einem schwarzen BMW ¨ überholt worden. Aber weder der

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