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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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von Jahren von Riesen aufgeschichtet worden waren.
    Aber das Seltsamste war, dass jeder Riss voller kleiner, rechteckiger Sandsteinstücke war. Sie alle wirkten gleich groß, so als wären sie ...
    Lauri sank der Kopf auf die Brust, als er für einen Moment einschlief, und als er wieder erwachte, hatte die Landschaft sich erneut verändert. Hatte er wirklich gesehen, was er sich eingebildet hatte zu sehen? Hatte er wirklich eine Bergwand gesehen, deren Risse bis in eine Höhe von mehreren Hundert Metern verfugt und mit von Menschen gebrochenen Steinen oder mit in der Sonne getrockneten Tonziegeln verfüllt waren? Oder hatte er im Fieber fantasiert oder geträumt?
    Ich muss Khadidja fragen, dachte Lauri. Aber gerade jetzt erschien ihm das als eine Anstrengung, die über seine Kräfte ging, und auch Khadidja wirkte irgendwie angespannt. Andererseits hatte Khadidja wohl gesagt, dass es auf dem Gebiet des alten Reichs Garamantes weiterhin viele alte Ruinen und ganze große Ruinenstädte gab, die noch niemals offiziell entdeckt worden waren. Vielleicht waren sie gerade an so einer vorbeigekommen.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Lauri.
    »Das wirst du ... gleich sehen«, keuchte Khadidja.
    Ihre Stimme war matt vor Anspannung.
    Wie mag es ihr gehen?, fragte sich Lauri. Sie hätte schon längst erschöpft sein müssen. Dann fiel ihm ein, was Alice ihm einmal erzählt hatte. Ihrer Ansicht nach waren Frauen den Männern im Triathlon nicht gewachsen, aber die Weltmeister im sogenannten Ultratriathlon waren meistens Frauen. Wenn die Anstrengung lange genug dauerte, war der Organismus der Frauen überraschend stärker und zäher als der der Männer.
    Sie überquerten gerade eine Basaltfläche, die von bodenlos wirkenden schmalen Schluchten zerrissen war. Die Risse waren so schmal, dass ein Mensch es gerade eben noch schaffte, über sie hinwegzusteigen.
    Wenn sie sich in dem unermesslichen Labyrinth verirrten, würde niemals jemand ihre Knochen finden. Sie würden mit noch größerer Sicherheit und noch unwiederbringlicher verschwinden, als wenn ihre Knochen unter den Sandwellen, die einander bis in alle Ewigkeit überschütteten, begraben werden.
    Viel, viel später graute der Morgen am östlichen Himmel. Lauri begriff, dass sie die ganze Nacht unterwegs gewesen waren. Sie kamen, wie es Lauri vorkam, bestimmt zum hundertsten Mal zur Einmündung eines neuen, wilden Cañons. Er war viele Hundert Meter tief, aber sehr schmal. Wieder eine neue, grausame Wunde in der Erdkruste.
    »Wir sind da«, stieß Khadidja hervor und sank zu Boden.
    Sie versuchte, ihren Atem ein wenig zu beruhigen.
    »Ich kann nicht mehr weiter«, sagte sie. »Hier entscheidet sich jetzt alles.«
    Dieser Cañon ist also unsere letzte Ruhestätte, dachte Lauri. Bei diesem Gedanken wurde ihm in gewisser Weise sogar leichter, denn er war sehr müde. Wie lange hatte das alles schon gedauert? Wie lange waren sie vor ihren Verfolgern durch die Wüste geflohen wie die Füchse vor einer großen Schar Hunde und Jäger? Es kam ihm vor, als dauerte die Treibjagd schon viele Jahre. Er konnte sich an nichts anderes mehr erinnern. An nichts, was vorher gewesen war. Ihre Welt war sehr klein geworden.
    Khadidja versuchte mit großer Anstrengung aufzustehen, aber ihre Arme begannen zu zittern, und sie schaffte es nicht. Lauri sah, dass Khadidja ihre letzte Kraft verbraucht hatte. Es war nichts mehr davon übrig.
    Khadidja knurrte etwas, das wie ein arabischer Fluch klang, und versuchte es noch einmal. Als Khadidja auf Lauri zukam, taumelte sie vor Müdigkeit, aber dessen ungeachtet griff sie Lauri unter die Arme und zog ihn hoch. Lauris Fieber war höher als je zuvor, und er war nur halb bei Bewusstsein. Hilfe, dieses Fieber verkocht mir das Gehirn, dachte er verschwommen. Gleich werden sich die Eiweiße in meinem Hirn verdicken. Koagulieren, wie die Fachleute sagen. Das ist doch ein toller Ausdruck!, dachte Lauri bewundernd. Woher kenn ich den eigentlich?
    »Sie ... Sie waren ... unschuldig«, lallte er im Fieber. »Sie ... alle waren unschuldig. Und sie waren keine ... Terroristen, wie wir ... gedacht hatten. Niemand von ihnen, kein Einziger von ihnen war ...«
    Khadidja kommentierte Lauris Fantasien nicht. Sie hatte dazu keine Kraft mehr.
    »Aber woher hätte ich wissen sollen, dass ...«
    Khadidja schwankte, und sie fielen gegen die steinerne Wand des Cañons. Das ist wohl das Ende, dachte Lauri.
    »Alice ... Sie hätte nicht ... keine Chance ... Warum hat sie ...«
    Khadidja

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