Gottes kleiner Finger - [Thriller]
auszuruhen, blieb sie nicht mehr stehen, um Wache zu halten, sondern sank schwer keuchend zu Boden. Lange wird sie nicht mehr durchhalten, dachte Lauri, wir werden nicht mehr weit kommen, bevor sie uns eingeholt haben.
Der Fels war bei heftigen Erdbeben bis in viele Hundert Meter Tiefe unzählige Male und in allen möglichen Himmelsrichtungen zerborsten, je nachdem, woher die seismischen Schockwellen jeweils gekommen waren. Infolge all dieser uralten Naturereignisse war der harte Basaltfelsen von erstaunlich tiefen, aber auch sehr schmalen Rissen durchzogen. Die meisten waren so schmal, dass ein Mensch nicht hindurchpasste, aber manche waren ein wenig breiter und bildeten am Grund des Labyrinths komplizierte Gänge, durch die sie nun auf die andere Seite des Bergs zu gelangen versuchten. Zeitweilig schimmerte von oben nur ein wenig Licht, aber ab und zu wurden auch schmale und geradezu erschreckend weit entfernte Streifen blauen Himmels sichtbar.
Eine Stunde später war Khadidja schon so erschöpft, dass sie, nachdem sie Lauri geholfen hatte, sich hinzusetzen und gegen die Felswand zu lehnen, neben ihm zu Boden sank.
Obwohl sie noch einmal den Belagerungsring durchbrochen hatten, war die Lage keineswegs besser. Im Gegenteil! Sie saßen jetzt schlimmer in der Klemme als jemals zuvor. Beide waren todmüde, durstig und ausgehungert. Lauri hatte starkes Wundfieber. Sie besaßen keine Feuerwaffen mehr. Als einzige Waffe war ihnen nur Khadidjas Muzer-Dolch verblieben. Aber vor allem waren ihre Verfolger ihnen nahe, höchstens noch einige Kilometer entfernt, und es waren viele.
Sie kamen in einen breiteren Cañon, dessen Wände sich oben nach innen wölbten, sodass sie den Himmel nicht mehr sehen konnten. Am Grund des Cañons gab es eine mindestens hundert Meter lange und vielleicht zwanzig Meter breite Vertiefung, die mit Wasser gefüllt war. Darin wateten zehn bis zwanzig Kamele herum, und Lauri sah, dass sich darunter auch ihre eigenen Meharis befanden.
Wir haben uns also gar nicht verirrt, dachte Lauri, Khadidja hat die ganze Zeit genau gewusst, wo wir waren. Sie wollte hierher, weil sie wusste, dass unsere Kamele hier, bei dem Wasser, sein würden.
Lauri und Khadidja warfen sich bäuchlings in den Teich und schlürften gierig das schmutzige, aber süße Wasser, ohne sich um die darin badenden Kamele und die Dunghaufen, die die Tiere am Ufer hinterlassen hatten, zu scheren.
»Wir müssen weiter«, sagte Khadidja einen Augenblick später.
Sie schleppten sich langsam immer tiefer in den Stein hinein.
Nach einer scheinbar endlosen Zeit kamen sie auf der anderen Seite des Berges, der von Erdbeben zu Legosteinen zersplittert worden war, wieder heraus. Aber sie kehrten nicht zu der Sand- und Kiesebene zurück. Die Landschaft vor ihnen hatte sich plötzlich in geradezu vernunftwidriger Weise verändert.
So etwas hatte Lauri noch nie gesehen.
Dies muss so etwas sein wie Tantanah, dachte Lauri. Der geheimnisvolle Zauberberg der Imohagh, von dem Khadidja ihm erzählt hatte. Die Landschaft vor ihnen war in ihrer Wildheit atemberaubend.
Aus erstarrten Basaltströmen ragten jetzt auch die von Wind und Wasser fantastisch geformten Reste eines uralten Sandsteingebirges heraus. Am Grunde des Meeres oder des Sumpfes, die sich hier einst befunden hatten, war Sand sedimentiert, der sich viel später zu weichem Stein verhärtet hatte. Wind und Wasser hatten den mürben Sandstein in einen Wald von unzähligen stumpfen, ockerfarbenen Zuckerhüten und dünneren und schärferen Dolchen aus Stein verwandelt. Vulkane hatten Lavaströme ausgespien, die den ganzen Dschungel aus Sandsteinpfeilern zur Hälfte in schwarzem Lavabasalt ertränkten. Und schließlich hatten die Erdbeben noch den Basaltstein zu Feldern aus gewaltigen Stelen und Steinblöcken zersplittert.
Ich werde in meinem Leben nichts anderes mehr zu sehen bekommen, dachte Lauri, diese wilden Felsen und Schluchten sind das Letzte, was ich von der Welt sehe.
Sie kamen an riesigen Felsblöcken vorbei, von denen manche sicherlich über hundert Meter hoch waren. Steinblöcke, so hoch wie mehrstöckige Häuser, waren stellenweise zu großen Haufen übereinandergestürzt.
Die Sonne sank, und es dämmerte.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit passierten sie eine himmelhoch aufragende Bergwand, die bis oben hin von großen, in den Stein gesprengten Rissen verziert war, so als bestünde der ganze Berg aus Hunderte Meter langen und Dutzende Meter hohen Steinplatten, die vor Millionen
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