Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Khadidja neben ihm am Boden lag. Sein Mund öffnete sich zu einer Frage, aber Khadidja drückte ihm fest die Hand darauf und hinderte ihn am Sprechen.
Das war aber unfreundlich, dachte Lauri. Khadidja legte warnend den Finger auf die Lippen. Lauri spitzte die Ohren, und als er sich richtig konzentrierte, meinte er schwache, leise Stimmen von unten, aus dem Riss, zu hören, durch den sie heraufgeklettert waren. Offenbar suchten ihre Verfolger systematisch die Höhlen und Spalten der Seitenwände ab, Zoll für Zoll, Meter für Meter. Würden sie auch dieses Versteck finden?
Bildete er es sich nur ein, oder kamen die Stimmen jetzt deutlich näher? Ja, sie waren jetzt schon viel besser zu hören. Lauri wollte etwas sagen, aber Khadidja sah ihn finster und warnend an und hielt weiterhin die Hand auf seinen Mund.
Die Stimmen wurden lauter. Ihre Verfolger hatten den Weg gefunden, über den sie heraufgekommen waren!
Dann ...
Die Stimmen wurden nicht mehr lauter, sondern allmählich schwächer. Dann waren sie nicht mehr zu hören. Es vergingen fünf, zehn, fünfzehn Minuten, und sie hörten nichts mehr. Khadidja seufzte vor Erleichterung.
»Ich glaube nicht, dass sie noch hierherkommen«, flüsterte sie Lauri ins Ohr. »Es gibt zu viele Höhlen.«
»Du kanntest diese Stelle schon?«
Ein fröhliches Lächeln erhellte Khadidjas Gesicht.
»Dies war eine meiner Lieblingsstellen, als ich klein war.«
Na, du hast ja Spielplätze gehabt, dachte Lauri und nickte wieder ein.
Als er das nächste Mal erwachte, gab Khadidja ihm Wasser zu trinken und befühlte seine Stirn.
»Dein Fieber ist gesunken«, sagte Khadidja. »Das ist ein gutes Zeichen.«
»Ich fühle mich nicht ... sonderlich munter.«
»Die Müdigkeit nach einem Fieber kann ziemlich heftig sein«, bemerkte Khadidja. »Dein Organismus repariert Schäden und bemüht sich darum, dass du an Ort und Stelle bleibst.«
Jetzt erst bemerkte Lauri, dass Khadidja über und über mit Schlamm bedeckt war. Als sie aus dem Teich tranken, hatten sie sich die Kleider nass gemacht, und danach waren sie auf dem Bauch durch Höhlen und Risse gekrochen. Khadidjas Kleider waren übel zerrissen, und zwischen den Fetzen schimmerte da und dort dunkle Haut. Ihre Arme und Beine waren mit Kratzern und roten Schrammen übersät, die in unterschiedliche Richtungen verliefen. Ob ich wohl ebenso desolat aussehe?, überlegte Lauri.
Er betrachtete seinen Arm und die schmuddelige Binde.
»Sollten wir die nicht wechseln?«
Khadidja lächelte schief.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre.«
»Warum nicht?«, fragte Lauri verwundert.
»Ich glaube, du möchtest nicht wirklich wissen, wie dein Arm jetzt aussieht«, sagte Khadidja wahrheitsgemäß.
Aus irgendeinem Grund schien die Antwort Lauri nicht zu befriedigen.
»Also gut«, seufzte Khadidja. »Aber denk daran, dass ich dich gewarnt habe.«
Khadidja öffnete die Binde und wickelte sie von Lauris Arm ab. Er betrachtete die Wunde und wollte seinen Augen nicht trauen. Von einem ekelhaften, Brechreiz erregenden Gefühl krampfte sich sein Magen zusammen, denn sein ganzer Arm ... war in Bewegung. Er wimmelte von kleinen, widerlichen weißen Fliegenmaden, die ... sein Gewebe fraßen.
Lauri wurde so blass, dass Khadidja einen Augenblick glaubte, er werde sich übergeben.
»Sie sehen nicht sehr schön aus, aber du könntest ihnen trotzdem wenigstens ein bisschen dankbar sein«, bemerkte Khadidja. »Sie haben dir sehr wahrscheinlich das Leben gerettet. Wir hatten keine Medikamente, und außerdem ist dann, wenn kein Antibiotikum mehr wirkt, das Einzige, was noch hilft ... tja.«
Lauri sagte nichts, sondern konzentrierte sich auf das verzweifelte Bemühen, seinen Magen daran zu hindern, sich umzudrehen.
Aber später am Tag ging es ihm schon deutlich besser.
»Woher hast du all dieses Wasser?«, fragte er Khadidja, nachdem er auf einmal fast eine ganze Feldflasche geleert hatte.
»Am Grunde dieses Risses gibt es eine Stelle, wo aus dem Fels ein wenig Wasser tropft«, erklärte Khadidja. »Man braucht nur zu warten, bis die Flasche voll ist.«
»Bist du extra wegen dieser Wasserstelle hierhergekommen?«
»Warum sonst?«, fragte Khadidja verwundert. »Jetzt brauchen wir nur darauf zu warten, dass der Stein unsere Verfolger zerbricht.«
Sie warteten drei Tage. In der Höhle war es nicht einmal am Tage sehr heiß, und sie tranken reichlich Wasser. Aber der Magen knurrte immer fordernder vor Hunger, trotz der Hitze.
Lauris Fieber war
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